Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
schuldbewußten Reflexbewegung sein Bier zu verstecken. Sie ignorierte es. »Ich mach Kaffee, Papa, danach sollten wir Stephen besuchen gehen.«
    Er warf der dicht ans Bein gehaltenen Flasche einen verstohlenen Blick zu. Sie war fast leer. Die anderen Männer beobachteten gespannt den Bildschirm. Renie hatte einmal eine Kollegin sagen hören, Männer seien wie Hunde. Wenn das stimmte, dann war das niemals offensichtlicher, als wenn sie die Bewegung eines Balles verfolgten. Long Joseph kippte den letzten Schluck hinunter und stellte dann die Flasche demonstrativ auf den Betonboden. »Ich komm schon. Muß den Jungen besuchen gehen.«
    Als sie über die weite Fläche zurückgingen, meinte Renie, den Mann im dunklen Hemd wieder zu sehen, diesmal als Silhouette im Eingang, aber im hinter ihm hereinströmenden Gegenlicht war das nicht sicher zu sagen. Sie schluckte ein Gefühl der Beklemmung hinunter. Selbst wenn er es war, hatte das nichts zu besagen. Fast fünfhundert Leute wohnten hier in der Unterkunft, und noch viele mehr kamen tagsüber herein und hielten sich darin auf. Sie kannte nur die paar Dutzend anderen Obdachlosen aus ihrem ausgebrannten Wohnblock.
    Sie schaute noch einmal hin, als das Licht ihr nicht in die Augen fiel, aber konnte ihn nirgends mehr erblicken.
    »Früher war’s gut«, sagte ihr Vater plötzlich. »Jeder Tag. Gut, was zu tun.«
    »Was?«
    »Die Arbeit. Als Elektriker. Feierabend machen, das Werkzeug wegpacken, mit den Freunden noch einen trinken gehen. Gut, was getan zu haben und fertig zu sein. Aber dann is die Sache mit meinem Rücken gekommen.«
    Renie sagte nichts. Das Rückenleiden hatte sich ihr Vater in dem Jahr zugezogen – wenigstens behauptete er das –, als ihre Uma’ Bongela gestorben war, ihre Großmutter, die sich nach dem Tod ihrer Mutter beim Kaufhausbrand um die Kinder gekümmert hatte. Zeitgleich mit der Verletzung hatte auch Long Josephs Interesse am Trinken wesentlich zugenommen, dies und die Sitte, so spät von seinen feuchtfröhlichen Abenden heimzukehren, daß Renie ihren kleinen Bruder gewöhnlich schon zu sich ins Bett genommen hatte, damit er nicht mehr so weinte. Sie hatte immer ihre Zweifel an seinem Rückenleiden gehabt.
    Es sei denn, man verstand es so, daß die ständige schwere Arbeit und dann die zusätzliche, fast untragbare Last, erst die Frau und dann noch die Schwiegermutter zu verlieren und als alleiniger Erzieher zweier Kinder übrigzubleiben, ihn dermaßen gedrückt hatten, bis einfach ein Punkt erreicht war, wo er sich nicht wieder aufrichten konnte. Auch das ließ sich in gewisser Weise als Rückenleiden bezeichnen.
    »Du könntest es immer noch, denke ich.«
    »Was?« Er hatte beim Gehen gedankenverloren in die Ferne geschaut.
    »Als Elektriker arbeiten. Es gibt hier weiß Gott jede Menge Leute mit Problemen. Ich wette, sie würden sich über deine Hilfe freuen.«
    Er warf ihr einen kurzen bösen Blick zu, bevor er wieder geradeaus starrte. »Mein Rücken.«
    »Mach einfach nichts, wodurch er schlimmer wird. Ich bin sicher, es gibt genug andere Sachen, die du machen könntest. Die Hälfte der Leute in der Unterkunft hier haben überlastete Anschlüsse, alte Kabel, schlechte Geräte. Du könntest mal rumgehen und nachschauen …«
    »Verdammt nochmal, Mädel, wenn du mich vom Hals haben willst, sag’s einfach!« Er war auf einmal wütend und hatte die Fäuste geballt. »Ich werd nich rumgehen und Leute um Arbeit anbetteln. Reicht’s vielleicht nich, was ich im Monat an Rente heimbring?«
    »Nein, Papa.« Mit Anfang fünfzig war er dabei, ein zänkischer alter Mann zu werden. Sie wollte ihn anfassen, aber traute sich nicht. »Nein, Papa. Es war bloß so eine Idee. Ich hätte einfach gern, daß …«
    »Daß ich mich nützlich mach? Ich bin mir nützlich genug, Mädel. Und jetzt kümmer dich um deinen eigenen Kram.«
    Sie gingen schweigend in ihre Koje. Long Joseph setzte sich aufs Bett und nahm eine lange, kritische Prüfung seiner Slipper vor, während Renie zwei Tassen Instantkaffee machte. Als die Tabletten ausgezischt hatten, reichte sie eine Tasse ihrem Vater.
    »Kann ich dich was anderes fragen, oder wirst du jetzt den ganzen Abend schlechte Laune haben?«
    Er blickte sie über den Rand seiner Tasse an. »Was?«
    »Wie sah der Mann vor unserm Wohnblock aus? Weißt du noch? Den du an dem Abend, als !Xabbu da war, im Wagen warten gesehen hast.«
    Er zuckte mit den Achseln und pustete auf seinen Kaffee. »Woher soll ich das wissen? Es war

Weitere Kostenlose Bücher