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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nur, daß ich gebeten wurde, es an ihren Knoten im Inneren Distrikt zuzustellen. Warum sie unbedingt möchte, daß es direkt hinaufgeladen wird, ist ihre Sache. Sofern du keine gegenteiligen Anweisungen hast, laß mich meinen Auftrag erledigen.«
    »Warum besteht die Senderin auf persönlicher Zustellung, wenn sie gar nicht dort anwesend ist?«
    »Ich weiß es nicht! Und du mußt es auch nicht wissen. Soll ich unverrichteter Dinge abziehen, und du sagst Frau Bundazi, daß du ihr eine Sendung verweigert hast?«
    Der Funktionär kniff die Augen zusammen, als forschte er in einem richtigen Menschengesicht nach Anzeichen von Falschheit oder bösen Absichten. Renie war froh, daß die Simmaske sie abschirmte. Na los, du blöder Korinthenkacker, versuch doch, mich zu durchleuchten!
    »Na gut«, sagte er schließlich. »Du hast zwanzig Minuten Zeit.« Das, wußte Renie, war die absolute Mindestzugangszeit und somit eine ausgesprochene Unfreundlichkeit.
    »Was ist, wenn weitere Anweisungen da sind? Was ist, wenn sie eine Mitteilung in dieser Sache zurückgelassen hat und ich noch etwas an jemand anders im Distrikt zustellen muß?« Renie wünschte sich plötzlich, dies wäre ein Spiel und sie könnte eine Laserpistole zücken und den Rep zu Klump schießen.
    »Zwanzig Minuten.« Er erhob eine kurzfingrige Hand, um weitere Einwände abzuwürgen. »Neunzehn Minuten und … sechsundfünfzig Sekunden genau. Die Zeit läuft. Wenn du mehr brauchst, mußt du wieder vorsprechen.«
    Schon im Weggehen begriffen, drehte sie sich noch einmal zu dem Mann mit dem Rattengesicht um, was den nächsten Antragsteller, der endlich das Heilige Land erreicht hatte, zu einem protestierenden Aufstöhnen veranlaßte. »Bist du ein Replikant?« wollte Renie wissen. Ein paar andere in der Schlange tuschelten überrascht. Es war eine sehr unhöfliche Frage, aber das Gesetz verlangte, daß sie beantwortet wurde.
    Der Funktionär warf sich empört in die Brust. »Ich bin ein Bürger. Willst du meine Nummer wissen?«
    Herr im Himmel. Er war tatsächlich ein richtiger Mensch. »Nein«, sagte sie. »Pure Neugier.«
    Sie verfluchte sich für ihre Hitzköpfigkeit, aber eine Frau konnte sich schließlich nicht alles bieten lassen.
     
    Im Unterschied zu der sorgfältigen Nachahmung des wirklichen Lebens überall sonst im Inneren Distrikt wurde einem kein Durchgang durch das Tor vorgespiegelt: Kaum war ihr Einlaß bestätigt, wurde Renie einfach auf die Gateway Plaza befördert, eine riesige und deprimierend neofaschistische Masse simulierter Steine, ein gepflasterter Platz von der scheinbaren Größe eines kleinen Landes, umgeben von turmhohen Bögen und speichenförmig abgehenden Straßen, die sich in trügerischer Geradheit in der Ferne verliefen. Das Ganze war natürlich eine Illusion. Ein kurzer Spaziergang auf einer der Straßen brachte einen zwar immer irgendwo hin, aber nicht unbedingt an einen Ort, den man von der Plaza aus sehen konnte, und auch nicht unbedingt auf einer breiten, geraden Hauptstraße oder überhaupt auf einer Straße.
    Trotz ihrer ungeheuren Größe ging es auf der Plaza drängeliger und lauter zu als im Wartebereich vor dem Gateway. Die Leute hier waren drinnen, und sei es nur kurzzeitig, und das verlieh ihren Bewegungen eine gewisse Bestimmtheit und Selbstgefälligkeit. Und wenn sie überhaupt die Muße hatten, das wirkliche Leben so weitgehend zu imitieren, daß sie über die Plaza schlendern konnten, dann hatten sie wahrscheinlich allen Grund, selbstgefällig zu sein: Den Zutrittsberechtigten der untersten Stufe wie Renie räumte man gar nicht erst die Zeit ein, etwas anderes zu tun, als unverzüglich zu ihrem Bestimmungsort und zurück zu eilen.
    Es war ein Ort, der zum Verweilen einlud. Die eigentlichen Bewohner des Inneren Distrikts, die Leute, die das Geld und die Macht hatten, in diesem Elitesektor des Netzes ihren eigenen privaten Raum zu beanspruchen, unterlagen in der Gestaltung ihrer Sims nicht denselben Beschränkungen wie Besucher. In der Ferne erblickte Renie zwei nackte Männer mit unglaublichen Muskelpaketen, die zudem beide knallrot und zehn Meter groß waren. Was die wohl dafür berappen mußten, fragte sie sich, allein an Steuern und Anschlußgebühren – denn es war viel kostspieliger, einen aus dem Rahmen fallenden Körper durch die Simulationen spazieren zu führen.
    Neureiche, entschied sie.
    Bei den wenigen anderen Gelegenheiten, zu denen sie in den Inneren Distrikt hineingekommen war – meistens auf dem

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