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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sondern den Flüchtling gleich mit. Innerhalb des Systems. Und falls wir beim Aufspüren des Flüchtlings außerdem noch entdecken, weshalb er dem alten Mann eigentlich so am Herzen liegt, und sich diese Entdeckung als den Interessen unseres geschätzten Kollegen abträglich erweisen sollte … tja, dann wäre das wohl sehr bedauerlich, aber leider nicht zu vermeiden, nicht wahr, Daniel?«
    »Deine Gehirnwindungen entzücken mich, Bob. Du wirst immer besser.«
    »Vielen Dank, Daniel.«
    Der General erhob sich. »Wie wär’s, wenn wir zurückdüsen? Die Jungs da draußen juckt’s schon in den Fingern, sich an die Arbeit zu machen.«
    Der hochgewachsene Mann stand ebenfalls auf, langsamer. »Vielen Dank für die Einladung. Ich habe schon lange nicht mehr einen so unterhaltsamen Abend verbracht.«
    General Yacoubian wischte seine Karte über die Scheibe im Kassentisch und winkte dann fröhlich der Kellnerin zu, die zur Tür hinausstarrte wie ein in die Enge getriebenes Tier. Der General drehte sich um und nahm Wells am Arm.
    »Ein Beisammensein unter alten Freunden ist doch immer was Schönes.«
     
     
    > »Und der Wolf lief und lief und versuchte, die brennend heißen Steine loszuwerden, aber der Jäger hatte sie ihm fest in den Bauch eingenäht. Er lief zum Fluß, um zu trinken, und schluckte und schluckte das Flußwasser, bis die Steine in seinem Innern endlich kalt wurden, aber sie waren zu schwer, und ihr Gewicht zog ihn unter Wasser, und er ertrank.
    Rotkäppchen und ihre Großmutter umarmten sich vor Freude, dann dankten sie dem Jäger für seine gute Tat. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch. Entschuldigung…« Herr Sellars hustete und streckte seine zitternde Hand nach dem Wasserglas aus. Christabel reichte es ihm.
    »Aber in meiner MärchenBrille geht das ganz anders aus.« Sie war ein wenig empört. Geschichten durften nicht einmal so und einmal so enden. »Im richtigen Märchen tut es dem Wolf leid, und er verspricht, es nie wieder zu tun.«
    Herr Sellars trank einen Schluck Wasser. »Ach, weißt du, Dinge verändern sich, Märchen verändern sich. In der Urfassung, glaube ich, bleiben nicht einmal Rotkäppchen und die Großmutter am Leben, vom bösen Wolf ganz zu schweigen.«
    »Wieso ›Uhrfassung‹, was hat die Uhr damit zu tun?«
    Er blickte sie mit seinem schiefen Lächeln an. »Keine Uhr. Die Urfassung eines Märchens ist, wie es ganz am Anfang war. Oder die wahre Begebenheit, um die herum jemand ein Märchen webt.«
    Christabel runzelte die Stirn. »Sie sind aber gar nicht wahr. Das hat meine Mami gesagt. Es sind bloß Märchen – deshalb braucht man auch keine Angst zu kriegen, wenn man sie hört.«
    »Aber alles kommt irgendwoher, Christabel.« Er drehte sich um und schaute aus dem Fenster. Man konnte durch das dichte, wirre Laubwerk der davor wachsenden Pflanzen nur ein kleines Stück Himmel sehen. »Jedes Märchen wurzelt in der Wahrheit, und sei es auch nur dünn.«
    Ihr Armband fing an zu blinken. Sie zog ein Gesicht und stand auf. »Ich muß jetzt gehen. Papa hat morgen frei, deshalb fahren wir heute abend fort, und ich muß noch mein Spielzeug und meine Sachen packen.« Dann fiel ihr ein, was sie sagen sollte. »Danke für das Märchen, Herr Sellars.«
    »Oh.« Er klang ein wenig verwundert. Sonst sagte er nichts mehr, bis sie sich umgezogen hatte und in ihren normalen Sachen wieder ins Wohnzimmer kam. »Meine kleine Freundin, ich werde dich um etwas bitten müssen. Ich wollte dich eigentlich nicht ausnutzen. Ich habe ein schrecklich schlechtes Gewissen deswegen.«
    Christabel wußte nicht, was er meinte, aber es hörte sich irgendwie traurig an. Sie blieb still stehen, den Finger an den Mund gelegt, und wartete.
    »Wenn du von diesem Ausflug zurückkommst, werde ich dich bitten, ein paar Dinge für mich zu tun. Es kann sein, daß du manche davon für schlimm hältst und daß du dich fürchtest.«
    »Werden sie weh tun?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich würde nie etwas tun, was dir Schmerz bereitet, kleine Christabel. Du bist für mich eine sehr wichtige Freundin. Aber es werden geheime Dinge sein, und es wird das wichtigste Geheimnis sein, das zu hüten dich jemals ein Mensch gebeten hat. Verstehst du?«
    Sie nickte mit großen Augen. Er machte einen sehr ernsten Eindruck.
    »Dann lauf jetzt. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende mit deiner Familie. Aber wenn du zurückkommst, besuch mich bitte so bald wie nur irgend möglich. Ich hatte nicht gewußt, daß

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