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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und machte ihr angst. Sie nickte.
    »Christabel, ich habe Herrn und Frau Weiner und Ophelia gegen Mittag am Flughafen abgesetzt. Sie fahren in Urlaub, genau wie wir in Urlaub fahren. Warum hast du mich angelogen? Und wo bist du gewesen?«
    Auch sein Gesicht machte ihr jetzt angst, denn sie wußte, dieses unbewegte, grimmige Gesicht bedeutete, daß sie etwas Schlimmes gemacht hatte. Es bedeutete Haue. Dann wurde es ganz verschwommen, weil sie zu weinen anfing.
    »Es tut mir leid, Papi. Es tut mir so leid.«
    »Sag mir jetzt die Wahrheit, Christabel.«
    Sie hatte richtig Angst. Sie durfte Herrn Sellars nicht besuchen, und wenn sie ihrem Papi davon erzählte, würde es ihr schlecht ergehen – sie würde bestimmt Haue kriegen. Und vielleicht würde es Herrn Sellars auch schlecht ergehen. Ob er auch Haue kriegen würde? Er war sehr dünn und schwach und würde sich wahrscheinlich was tun. Aber Herr Sellars wollte, daß sie schlimme Sachen machte, hatte er gesagt, und jetzt war ihr Papi böse. Es war schwer, klar zu denken. Sie konnte nicht aufhören zu weinen.
    »Christabel Sorensen, wir werden hier nicht wegfahren, bis du mir die Wahrheit gesagt hast.« Sie fühlte seine Hand oben auf ihren Haaren. »Jetzt wein mal nicht. Ich hab dich lieb, aber ich will Bescheid wissen. Es ist viel, viel besser, die Wahrheit zu sagen.«
    Sie dachte an Herrn Sellars mit seinem komischen Gesicht, und wie unglücklich er heute ausgesehen hatte. Aber ihr Papi saß direkt neben ihr, und ihre Sonntagsschullehrerin sagte immer, lügen wäre böse und Leute, die lügen, kämen in die Hölle und ins Feuer. Sie holte tief Atem und wischte sich die Nase und die Oberlippe. Ihr Gesicht war ganz bäh und ganz naß.
    »Ich … ich war …«
    »Ja?« Er war so groß, daß er mit dem Kopf an das Autodach stieß. Er war so groß wie ein Monster.
    »Bei… bei so einer Frau.«
    »Bei was für einer Frau? Was machst du für Sachen, Christabel?«
    Es war so eine große Lüge – so eine schlimme Lüge –, daß sie sie kaum herausbrachte. Sie mußte noch einmal tief Atem holen. »Sie h-h-hat einen Hund. Und sie läßt mich mit ihm spielen. Er heißt M-M-Mister. Und ich weiß, Mami hat gesagt, ich darf keinen Hund haben, aber ich will so gern einen haben. Und ich hatte Angst, du würdest sagen, daß ich nie wieder hingehen darf.«
    Es war so überraschend, die schreckliche große Lüge aus ihrem eigenen Mund kommen zu hören, daß sie wieder zu weinen anfing, richtig laut. Ihr Papi schaute sie so streng an, daß sie weggucken mußte. Er faßte ihr Kinn und zog sie wieder sanft herum.
    »Ist das die Wahrheit?«
    »Ich schwör’s, Papi.« Sie schniefte und schniefte, bis sie nicht mehr so doll weinte, aber ihre Nase lief noch. »Es ist die Wahrheit.«
    Er setzte sich gerade hin und ließ den Wagen wieder an. »So, ich bin jetzt sehr böse mit dir, Christabel. Du weißt, daß du uns immer sagen mußt, wo du hingehst, auch auf dem Stützpunkt. Und du darfst mich nie, nie wieder anlügen. Ist das klar?«
    Sie wischte sich wieder die Nase. Ihr Ärmel war naß und klebrig. »Klar.«
    »Ein Hund.« Er bog in die Windicott Lane ein. »Ausgerechnet. Wie heißt diese Frau überhaupt?«
    »Ich … ich weiß nicht. Sie ist einfach so eine Frau. Alt wie Mami.«
    Ihr Papi lachte. »Hups. Das sage ich lieber nicht weiter.« Er machte wieder sein Grummelgesicht. »Also gut, du wirst ausnahmsweise keine Haue bekommen, weil du mir schließlich doch noch die Wahrheit gesagt hast, und das ist das Allerwichtigste. Aber zuerst hast du gelogen, und du bist weggegangen, ohne uns zu sagen, wo du hingehst. Ich denke, wenn wir aus Connecticut zurück sind, wirst du ein Weilchen dein Zimmer hüten. Ein oder zwei Wochen. Das bedeutet, daß du zuhause bleibst – kein Spielen bei Portia mehr, keine Abstecher in den PX und keine alte Frau mit einem Hund, der Mister heißt. Sind wir uns da einig?«
    In Christabel gingen die Gefühle durcheinander, ängstliche Sprungbrettspringgefühle und Drückemagengefühle und aufregende Geheimnisgefühle. Ihr war ganz schwindlig im Kopf und flau im Bauch. Sie schniefte wieder und rieb sich die Augen.
    »Ja, Papi.«
     
     
    > Er fühlte sein Herz schneller schlagen. Der Sandsturm, der kurz über die rote Wüste gefegt war, ließ nach, und durch das abflauende Gestöber sah er den großen, kompakten Umriß des Tempels.
    Er war riesig und eigenartig gedrungen, eine große Säulenfront, ein gewaltiges Grinsen im weiten toten Gesicht der Wüste. Osiris

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