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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dann eine Liste von Optionen für Stärke, Ausdauer und andere körperliche Eigenschaften durch, was in den meisten Simwelten ein Nullsummenspiel war, in dem jede Verbesserung einer Kategorie mit der Verschlechterung einer anderen ausgeglichen werden mußte. Als sie die Zahlen hin- und herkombiniert hatte, bis sie zufrieden war, stellte sie die Entscheidungen, die sie getroffen hatte, fest ein. Der Simuloid und der ihn umschließende Würfel verschwanden, und Renie befand sich abermals im schwarzen Raum.
    Singhs scharfe Stimme schnitt durch die Leere. »So, was jetzt kommt, sage ich einmal und nicht öfter. Wir gehen rein, aber wundert euch über nichts – auch nicht, wenn’s schiefgeht. Das ist das aberwitzigste Betriebssystem, das mir je begegnet ist, ich mache also keinerlei Versprechungen. Und stellt mir keine dummen Fragen, während ich arbeite.«
    »Ich dachte, du wärst einer von denen, die daran gearbeitet haben«, sagte Renie. Singhs schlechte Laune ging ihr langsam auf die Nerven.
    »Nicht am Betriebssystem selbst«, erwiderte er. »Ich hab an den Snap-on-Komponenten gearbeitet. Das Betriebssystem war das größte Geheimnis seit dem Manhattan-Projekt – das war die erste Atombombe damals im zwanzigsten Jahrhundert, falls irgendwer von euch sich nicht mit Geschichte auskennt.«
    »Bitte fahre fort, Monsieur Singh«, sagte Martine. »Wir wissen, daß die Zeit knapp ist.«
    »Kann man wohl sagen. Wie gesagt, ich probier schon seit langem immer wieder an diesem System rum und beobachte es, und ich hab immer noch Fragen. Zum Beispiel hat das Ding Zyklen, und damit meine ich keine Benutzerschwankungen. Die Benutzerzahlen bleiben in allen Zeitzonen durchweg ziemlich konstant, allerdings sind sie in letzter Zeit im allgemeinen recht stark gestiegen. Nein, das Betriebssystem selbst hat einen internen Zyklus, aus dem ich einfach nicht schlau werde. Manchmal arbeitet es viel schneller als zu andern Zeiten. Im großen und ganzen scheint es einem Fünfundzwanzigstundentakt zu unterliegen, das heißt, es läuft ungefähr neunzehn Stunden auf Hochtouren und wird dann ungefähr sechs Stunden eher zähgängig, so daß es in der Zeit leichter ist, um einige der offensichtlicheren Sicherheitsvorkehrungen rumzukommen. Wohlgemerkt, dabei ist es immer noch doppelt so schnell wie alles, womit ich je in Berührung gekommen bin, vielleicht noch schneller.«
    »Ein Fünfundzwanzigstundentakt?« Martine klang perplex. »Bist du sicher?«
    »Natürlich bin ich sicher«, bäffte Singh. »Wer von uns überwacht dieses Ding seit fast einem Jahr, du oder ich? Die einzige Möglichkeit, durchzukommen und euch alle reinzuschmuggeln, ist die, daß ich eine Art Brückenkopf errichte. Das heißt, ich muß das System dazu bringen, daß es aufgeht und mich ganz reinläßt, und dann muß ich fest Fuß fassen, damit ich uns alle von den Leitungen runter und auf einen randomisierenden Sat-Router bringe. Und solange ihr nicht drin seid, kriegt ihr auch keine Bilder – für solchen Kinderkram habe ich keine Zeit –, deshalb müßt ihr auf meine Stimme hören und tun, was ich euch sage. Klar?«
    Renie und !Xabbu bejahten.
    »Gut. Sitzt still und haltet den Mund. Zuerst muß ich an die Hintertür kommen, die ich, Melanie und Sakata eingebaut haben. Normalerweise würde man allein über die in jedes System reinkommen, aber mit dem hier sind ein paar komische Geschichten angestellt worden. Es hat Komplexitätsgrade, wie ich sie noch nie erlebt hab.«
    Dann war Singh fort, und es herrschte Stille. Renie wartete so geduldig, wie sie konnte, aber ohne das Geräusch anderer Stimmen war es unmöglich, die Zeit einzuschätzen. Es konnten zehn Minuten oder eine Stunde vergangen sein, als die Stimme des alten Häckers wieder in ihren Kopfhörern brummte.
    »Ich nehm’s zurück.« Er hörte sich außer Atem und viel weniger selbstsicher an als gewöhnlich. »›Komplexität‹ ist nicht das richtige Wort. Eher ›Wahnsinn‹ – alles in den inneren Ringen dieses Systems hat einen total verrückten Zufallswinkel. Ich wußte, daß sie im Zentrum von diesem Ding ein neuronales Netzwerk installieren wollten, aber selbst die haben Regeln. Sie lernen, und irgendwann machen sie jedesmal das Richtige, was von einem bestimmten Punkt an bedeutet, daß sie jedesmal mehr oder weniger das Gleiche machen …«
    Es war schwer, in der Dunkelheit zu sitzen und nichts zu tun. Zum erstenmal, soweit sie sich erinnern konnte, sehnte sich Renie danach, etwas anfassen zu können,

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