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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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am Bug aufgemalten Zeichen, das wie eine Sonne mit einem Auge darin aussah, schien es einer anderen Zeit anzugehören als die übrigen Schiffe im Hafen. Es hatte einen einzelnen hohen Mast und ein flaches viereckiges Segel. Laternen hingen in der Takelage und am Bug.
    Während Orlando diese seltsame Erscheinung noch anstarrte, schien die Welt in einen größeren Schatten einzutauchen. Die Laternen verschwammen zu blendenden Sternformen. Er wunderte sich noch kurz darüber, wie plötzlich aus der Abenddämmerung finstere Mitternacht geworden war, und bedauerte es, daß die Einwohner der Stadt ihre sämtlichen Lichter ausgemacht hatten, dann spürte er, wie das Wasser wieder an ihm hoch und über ihn hinweg glitt.
    Diesmal merkte Orlando es kaum, als Fredericks ihn herauszog. Das Fieber hatte ihn erneut gepackt, und er war so zerschlagen, daß er es undenkbar fand, es könnte jemals wieder loslassen. Ein fernes Nebelhorn war ein formloser Tonbrei in seinen Ohren, der abflaute und doch nicht ganz aufhörte. Fredericks sagte irgend etwas Dringendes, aber Orlando wurde nicht daraus schlau. Auf einmal erschien ein unvorstellbar grelles Licht, und die Finsternis wurde von einer viel schmerzhafteren und schrecklicheren Weiße vertrieben.
     
    Der Scheinwerfer gehörte einem kleinen Boot. Das kleine Boot gehörte der Hafenpolizei der großen Stadt. Die Polizisten waren nicht brutal, aber sie hatten entschieden kein Ohr dafür, was Fredericks zu sagen hatte. Sie schienen speziell nach Fremden Ausschau zu halten, und die beiden Wasser tretenden Männer mit ihrem selbstgebastelten Floß entsprachen offenbar der Beschreibung. Als sie Orlando und Fredericks an Bord zogen, unterhielten sie sich miteinander; Orlando verstand die Worte »Gottkönig« und »Hoher Rat«. Es machte den Eindruck, als ob er und Fredericks wegen irgendeines Verbrechens verhaftet würden, aber es fiel ihm immer schwerer, dem Geschehen um ihn herum zu folgen.
    Plötzlich ragte das Prunkschiff über ihnen auf. Während das Patrouillenboot auf den Kai des Großen Palastes zutuckerte, strich sein verzierter Rumpf an ihnen vorbei, aber bevor sie das Schiffsende erreicht hatten, verlor Orlando das Bewußtsein.

Kapitel
Der Herr von Temilún
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Panik wegen Containerfleischvergiftung in Großbritannien
    (Bild: aufgebrachte Menge vor einer Fabrik in Derbyshire)
    Off-Stimme: Eine Welle von Erkrankungen mit tödlichem Ausgang hat in der Zuchtfleischindustrie Großbritanniens ein Chaos ausgelöst. Bei einem Lebensmittelunternehmen, Artiflesh Ltd., kam es zu Angriffen auf Fahrer, und es wurde sogar ein Werk niedergebrannt.
    (Bild: Salmonellen unter dem Mikroskop)
    Schuld an den Todesfällen soll der Salmonellenbefall einer »Mutter« sein, der ursprünglichen Rindfleischmatrix, aus der sich bis zu hundert Generationen Containerzuchtfleisch gewinnen lassen. Eine solche »Mutter« kann die Quelle von vielen tausend Tonnen Zuchtfleisch sein …
     
     
    > »Atasco!« Renie erhob abwehrend die Hände, aber der Mann, deren Gefangene sie waren, betrachtete sie nur mit leichtem Befremden.
    »Du kennst meinen Namen? Das überrascht mich.«
    »Warum? Weil wir bloß kleine Leute sind?« Jetzt, wo sie das erste wirkliche Gesicht – so wirklich, wie ein Simgesicht überhaupt sein konnte – hinter Otherland vor sich hatte, verging alle ihre Furcht. Eine kalte Wut erfüllte sie und gab ihr das Gefühl, neben sich zu stehen.
    »Nein.« Atasco wirkte ehrlich verblüfft. »Weil ich nicht dachte, daß mein Name allgemein bekannt wäre, wenigstens außerhalb gewisser Kreise. Wer bist du?«
    Renie legte den Arm auf !Xabbus Schulter – mehr zu ihrer eigenen Beruhigung als zu seiner. »Wenn du das nicht weißt, werde ich es dir ganz bestimmt nicht sagen.«
    Der Gottkönig schüttelte den Kopf. »Du bist eine höchst impertinente junge Frau.«
    »Renie …?« begann Martine, aber in dem Moment witschte etwas mit hoher Geschwindigkeit über den Boden des Ratssaales, ein irisierender Streifen, der ganz knapp an Renie und !Xabbu vorbeihuschte, bevor er im Schatten verschwand.
    »Ah!« Während er die seltsame Erscheinung mit den Augen verfolgte, wich der Unmut aus Bolívar Atascos Gesicht. »Da ist es schon wieder. Weißt du, was das ist?«
    Renie konnte seinen Ton nicht recht einschätzen. »Nein. Was?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Na ja, das stimmt nicht ganz – ich habe eine Vermutung, was es darstellt, aber nicht, was es ist. Es ist

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