Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
auf die Art gemacht wurden, wie die Bruderschaft es beschlossen hatte, und nicht anders, da wollte man mir die Hände binden. Also erklärte ich meinen Rücktritt.«
»Sonst nichts?« Die Frau mit der übersetzt klingenden Aussprache hörte sich zornig an. »Du hast bloß gesagt: ›Das gefällt mir nicht‹, und bist zurückgetreten, aber hast an deinem großen Spielplatz festgehalten?«
»Wie kannst du es wagen, so mit uns zu reden?« herrschte Silviana Atasco sie an.
»Dies alles … die Sachen, von denen Sellars spricht«, ihr Mann beschrieb mit den Händen vage allumfassende Kreise, »davon wußten wir nichts. Als Sellars uns ansprach, hörten wir zum erstenmal davon.«
»Bitte.« Sellars bat gestikulierend um Ruhe. »Wie die Atascos sagen, hatten sie keine Ahnung. Ihr könnt hart über sie urteilen, wenn ihr wollt, aber wir sind mit ihrer Erlaubnis hier, deshalb wäre es vielleicht besser, mit diesem Urteil zu warten, bis ihr alle Fakten kennt.«
Die Frau, die den Zwischenruf gemacht hatte, setzte sich mit zusammengepreßten Lippen zurück.
»Laßt mich rasch fertig erzählen, diese Sitzung dauert ohnehin schon zu lange«, fuhr Sellars fort. »Ich trat also an die Atascos heran. Mit viel Aufwand konnte ich sie schließlich davon überzeugen, daß sich um die Gralsbruderschaft und Anderland Geheimnisse rankten, die sie nicht kannten. Mit Hilfe ihres Zugangs zum Netzwerk konnte ich weitere Ermittlungen anstellen – nicht viele allerdings, weil ich es nicht wagte, Aufmerksamkeit auf die Atascos oder mich zu lenken. Ich begriff rasch, daß ich auf mich allein gestellt nichts ausrichten konnte. Andererseits konnte ich nicht verantworten, noch mehr Menschen in den Tod zu schicken.
Ich kann die Macht der Bruderschaft gar nicht genug herausstellen. Ihre Mitglieder haben gewaltige Besitztümer in allen Teilen der Welt. Sie kontrollieren, oder beeinflussen zumindest, Armeen, Polizeikräfte und staatliche Gremien in allen Ländern der Erde. Sie erledigten diese Rechercheure so rasch, wie ein Mann eine Fliege totschlägt, und wurden dafür so wenig bestraft, wie so ein Mann bestraft würde. Wer würde sich mit mir gegen solche Feinde verbünden, und wie konnte ich mit ihnen in Kontakt kommen?
Die Antwort fand sich ziemlich leicht, wenigstens auf die erste Frage. Menschen, die durch die Umtriebe dieser Leute gelitten hatten, würden helfen wollen, Menschen, die durch die unerklärliche Verschwörung der Bruderschaft Freunde und Angehörige verloren hatten. Aber ich traute mich nicht, noch mehr Unschuldige zu gefährden, und außerdem brauchte ich Leute, die besondere Fähigkeiten für einen solchen Kampf besaßen, denn Betroffenheit allein würde nicht, wird nicht ausreichen. Deshalb dachte ich mir eine Aufgabe aus, wie in einem alten Märchen. Wer in der Lage war, Temilún zu finden, war auch geeignet, mir zu helfen, die Machenschaften der Bruderschaft aufzudecken.
Ich hinterließ Hinweise, streute Samen aus, schickte dunkle Botschaften in digitalen Flaschen. Etliche von euch erhielten zum Beispiel ein Bild von der virtuellen Stadt der Atascos. Ich legte diese Köder an obskuren Orten aus, aber stets im Dunstkreis der Aktivitäten der Bruderschaft, so daß diejenigen, die auf eigene Faust Ermittlungen anstellten, dort darüber stolpern konnten. Aber ich war gezwungen, diese Hinweise zeitlich zu befristen und unbestimmt zu halten, auch um die Atascos und mich zu schützen. Und einerlei, zu welcher Entscheidung hinsichtlich meiner Person und meiner Hoffnungen ihr sonst kommen mögt, dürft ihr, die ihr Temilún erreicht habt, stolz sein. Ihr habt ein Rätsel gelöst, an dem vielleicht tausend andere gescheitert sind.«
Sellars hielt inne. Mehrere der Anwesenden meldeten sich zu Wort.
»Warum können wir nicht offline gehen?« wollte der Freund des schwarzhaarigen Barbaren wissen. »Das ist das einzige Rätsel, das ich gern gelöst hätte. Ich hab versucht, mich auszustöpseln, und es war wie auf dem elektrischen Stuhl! Mein richtiger Körper liegt irgendwo in einem Krankenhaus, aber ich bin immer noch angeschlossen!«
»Das höre ich zum erstenmal.« Selbst über das Raunen der Gäste hinweg klang Sellars überrascht. »An diesem Ort geschehen Dinge, die noch keiner von uns versteht. Ich würde niemanden gegen seinen Willen festhalten.« Er hob seine formlosen weißen Hände hoch. »Ich werde versuchen, die Sache aufzuklären.«
»Na, hoffentlich!«
»Und was war das für ein Ding?« fragte Renie. »Das Ding,
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