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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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anzuschauen, nur nicht Renie. Seine halb geschlossenen Augen, die so leicht schüchtern oder schläfrig wirken konnten, huschten über abblätternde Farbe und verbreiterte Fenster, blickten den Abfällen hinterher, die der Wind durch die breiten Straßen wehte.
    »Es ist kein sehr hübscher Stadtteil, fürchte ich.«
    »Das Haus meiner Vermieterin ist in Chesterville«, entgegnete er. »Die Gegend hier wirkt ein klein wenig wohlhabender, allerdings sind weniger Menschen auf den Straßen. Aber was mich erstaunt – und mich, muß ich gestehen, Renie, auch ein wenig erschreckt –, ist die Menschenhaftigkeit überall.«
    »Was meinst du damit?«
    »Sagt man das nicht, ›Menschenhaftigkeit‹? ›Menschlichkeit‹ vielleicht? Was ich meine, ist, daß alles hier – alles, was ich seit dem Weggang von meinem Volk von der Stadt gesehen habe – zu dem Zweck getan wird, die Erde auszusperren und zu verhindern, daß die Menschen sie sehen und an sie denken. Man hat die Felsen abgetragen, den Busch abgebrannt und alles mit Asphalt zugedeckt.« Er trat auf den rissigen Straßenbelag, daß seine Sandalensohle klatschte. »Sogar die paar Bäume wie dieser armselige Vertreter hier werden von Menschen hergebracht und gepflanzt. Menschen verwandeln die Orte, die sie bewohnen, in große überfüllte Steinhaufen, ganz ähnlich wie Termitenbauten – aber was passiert, wenn überall in der Welt nur noch Termitenhügel übrig sind, aber kein Busch mehr?«
    Renie schüttelte den Kopf. »Was sollen wir sonst machen? Wenn das hier Buschland wäre, könnten wir nicht überleben, weil wir zu viele sind. Wir würden verhungern. Wir würden uns gegenseitig umbringen.«
    »Was werden die Menschen machen, wenn es zuletzt keinen Busch mehr gibt, den sie verbrennen können?« !Xabbu bückte sich und hob einen Plastikreif auf, ein schon jetzt unklassifizierbares Relikt der gegenwärtigen Zivilisation. Er legte die Finger zusammen und streifte ihn über sein Handgelenk, dann hielt er seinen neuen Armschmuck mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen hoch und betrachtete ihn. »Dann verhungern? Sich dann umbringen? Das Problem wird dasselbe sein, aber vorher werden wir alles zugedeckt haben – mit Teer und Stein und Beton und … wie heißt es, ›Fibramic‹? Und wenn dann das Umbringen losgeht, werden viel mehr Menschen sterben müssen.«
    »Wir weichen in den Weltraum aus.« Renie deutete vage auf den grauen Himmel. »Wir … was weiß ich, kolonisieren andere Planeten.«
    !Xabbu nickte. »Aha.«
     
    Johnny’s Café war überfüllt. Die meisten der Gäste waren Lastwagenfahrer, die einen langen Tag auf der Strecke Durban-Pretoria vor sich hatten, stämmige, freundliche Männer mit Sonnenbrillen und knallbunten Hemden. Zu freundlich mitunter – in der Zeit, die sie brauchten, um sich zu einer freien Sitznische durchzuquetschen, bekam Renie einen Heiratsantrag und mehrere weniger ehrbare Angebote gemacht. Sie biß die Zähne zusammen und verkniff sich das Lächeln, auch wenn die Flirtversuche völlig harmlos und anständig waren. Wenn man reagierte, wurde es nur schlimmer.
    Aber manche Sachen gefielen Renie an Johnny’s Café, und eine davon war, daß man hier richtiges Essen bekam. So viele der kleinen Restaurants und Cafes servierten heutzutage nur noch amerikanische Schnellgerichte – Beefburger aus der Welle, Würstchen im Schlafrock mit pappiger Käsesauce und natürlich Coca-Cola und Pommes frites, Wein und Brot der westlichen Kommerzreligion. Aber hier in der Küche kochte tatsächlich jemand – vielleicht Johnny selbst, sofern es jemand dieses Namens gab.
    Zu der Tasse mit aufputschendem Fernfahrerkaffee nahm Renie Brot mit Butter und Honig und einen Teller gebratene Mehlbananen mit Reis. !Xabbu ließ sich von ihr das gleiche bestellen. Als die riesige Platte kam, starrte er mit offenkundiger Bestürzung darauf.
    »So groß!«
    »Im wesentlichen Kohlehydrate. Du brauchst es nicht aufzuessen, wenn du nicht magst.«
    »Ißt du es auf?«
    Sie lachte. »Danke, aber das hier reicht völlig für mich.«
    »Was wird dann damit geschehen?«
    Renie verstummte. Als Stiefkind der Wohlstandskultur hatte sie nie viel über ihr Konsum- und Wegwerfverhalten nachgedacht. »Ich bin sicher, jemand in der Küche nimmt das, was übrig bleibt, mit nach Hause«, meinte sie schließlich und fühlte sich schuldig und beschämt, noch während sie es aussprach. Sie zweifelte nicht daran, daß die einstigen Herren Südafrikas die gleichen Ausreden

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