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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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niemand sie mit einem Wort erwähnt. Für die war es ein Großstadttag wie alle andern.«
    Es klopfte wieder. Eine von Renies Kolleginnen, die Frau, die Programmieren für Anfänger unterrichtete, wollte sich ein Buch ausleihen. Sie redete die ganze Zeit, in der sie im Büro war, und erzählte eine breit ausgewalzte Geschichte über ein phantastisches Restaurant, in dem sie mit ihrem Freund gewesen war. Sie ging, ohne !Xabbu auch nur einmal anzuschauen oder anzusprechen, als ob er ein Möbelstück wäre. Renie ärgerte sich über das Benehmen der Frau, aber der kleine Mann schien es gar nicht zu bemerken.
    »Hast du noch weiter über das nachgedacht, was du gestern abend erfahren hast?« fragte er, als sie das Büro wieder für sich hatten. »Mir ist immer noch nicht ganz klar, was deiner Meinung nach deinem Bruder zugestoßen sein könnte. Wie kann etwas Unwirkliches solche Folgen haben? Vor allem wenn er nur mit sehr einfachen Geräten ausgerüstet war. Wenn ihn irgend etwas quälte, was hätte ihn dann daran gehindert, das Headset abzunehmen?«
    »Er hat es abgenommen – oder wenigstens hatte er es nicht auf, als ich ihn fand. Ich weiß keine Antwort auf deine Frage. Ich wünschte, ich wüßte eine.« Die Schwierigkeit, vielleicht sogar die vollkommene Unmöglichkeit, die Erklärung für Stephens Krankheit im Netz zu finden, machte sie auf einmal schrecklich müde. Sie zerdrückte ihre Zigarette und sah dem letzten Rauchfähnchen nach, das sich zur Decke schlängelte. »Mag sein, daß das alles die Halluzinationen einer leidenden Schwester sind. Manchmal brauchen Menschen Gründe für Dinge, selbst wenn es gar keine Gründe gibt. Deshalb glauben dann manche Leute an Verschwörungen oder Religionen – sofern es da einen Unterschied gibt. Die Welt ist einfach zu kompliziert, darum brauchen sie simple Erklärungen.«
    !Xabbu blickte sie mit einem Ausdruck an, der Renie wie leise Mißbilligung vorkam. »Aber es gibt so etwas wie Muster. Darin stimmen Wissenschaft und Religion überein. Damit bleibt einem die ehrbare, aber schwierige Aufgabe, sich darüber klarzuwerden, wie die Muster wirklich beschaffen sind und was sie bedeuten.«
    Überrascht von seiner scharfen Auffassungsgabe starrte sie ihn einen Moment lang an. »Du hast natürlich recht«, sagte sie. »Tja, dann werde ich mir dieses konkrete Muster einfach weiter anschauen und überlegen, ob es etwas bedeutet. Willst du mit dabei sein, wenn ich Stephens anderen Freund anrufe?«
    »Wenn es nicht stört.«
    »Ich denke nicht. Ich sage seiner Mutter, du wärst ein Freund von der TH.«
    »Ich hoffe, ich bin ein Freund von der TH.«
    »Das bist du, aber ich hoffe, sie denkt, daß du auch ein Dozent bist. Und nimm lieber den Schlips ab – du siehst damit aus wie einer aus einem alten Film.«
    !Xabbu wirkte ein wenig enttäuscht. Er war stolz auf die Förmlichkeit seiner Kleidung, die er als korrekt empfand – Renie hatte es nicht über sich gebracht, ihm zu sagen, daß er der einzige Mensch unter sechzig war, den sie je mit einer Krawatte gesehen hatte –, aber er fügte sich. Dann zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich sehr aufrecht neben sie.
    Patricia Mwete meldete sich. Sie betrachtete !Xabbu mit offenem Mißtrauen, aber ließ sich von Renies Erklärung besänftigen. »Stell Soki nicht zu viele Fragen«, mahnte sie. »Es ist noch nicht so lange her, daß er krank war.« Sie war ihrerseits ziemlich förmlich gekleidet. Renie erinnerte sich dunkel, daß sie in irgendeinem Geldinstitut arbeitete, und vermutete, daß sie gerade von der Arbeit nach Hause gekommen war.
    »Ich habe nicht vor, ihn mit irgendwas aufzuregen«, sagte Renie. »Aber mein Bruder liegt im Koma, Patricia, und niemand weiß, warum. Ich will einfach alles herausfinden, was ich kann.«
    Die mißtrauische Steifheit der anderen Frau bröckelte ein wenig ab. »Ich weiß, Irene. Tut mir leid. Ich ruf ihn.«
    Als Soki kam, war Renie ein bißchen überrascht, wie gesund er aussah. Er hatte nicht abgenommen – er war immer eher stämmig gewesen –, und er lächelte prompt und ungezwungen.
    »’lo, Renie.«
    »Hallo, Soki. Tut mir leid, daß du so krank warst.«
    Er zuckte mit den Achseln. Außerhalb des Bildschirms sagte seine Mutter irgend etwas, das Renie nicht verstehen konnte. »Mir geht’s gut. Wie geht’s Stephen?«
    Renie erstattete Bericht, und Sokis gute Laune verging sichtlich. »Ich hab davon gehört, aber ich dachte, es hält vielleicht bloß kurz an. Wie bei dem Jungen aus

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