Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
noch dasselbe Separée, aber seine Farben waren gedämpfte Erdtöne geworden, und es befand sich jetzt in einem kleinen Raum auf der Leisen Galerie. Durch die Rundbogentür blickte man auf ein breites blaues Wasserbecken, umgeben von steinernen Arkaden.
»Das ist sehr schön«, sagte !Xabbu . »Und hergekommen sind wir … einfach so.« Er schnalzte mit seinen Simfingern, aber sie machten kein Geräusch.
»Und das Geld fließt auch einfach so von unserm Konto. Dies muß der einzige Club in der VR-Welt sein, wo es weniger kostet, ein Hinterzimmer zu mieten, als den Lärmpegel am Tisch zu senken. Ich nehme an, sie wollen die Leute dazu animieren, den Service in Anspruch zu nehmen.« Renie streckte sich. Das Wasserbecken war faszinierend. Tropfen fielen von der moosigen Decke und machten Wellenkreise, die sich ausbreiteten und überlagerten und tanzende Reflexionen auf die von Fackeln erleuchteten Wände warfen. »Ich möchte mich gern umschauen. Ich möchte wissen, was es hier noch alles gibt.«
»Können wir uns das leisten?«
Sie ging auf privat. »Ich habe ein paar Kredite auf dem Konto deponiert, das zu dieser Tarnidentität gehört, aber nicht viele – so gut werden Dozenten nicht bezahlt. Aber wir müssen hierfür nur bezahlen, weil wir es verlangt haben. Wenn wir einfach herumstreifen – nun, eigentlich müßten sie uns Bescheid geben, bevor sie unser Konto belasten.«
Auf !Xabbus Gesicht erschien ein Simlächeln. »Du denkst, daß die Besitzer dieser Lokalität zu … mancherlei fähig sind, aber du hast sie nicht in Verdacht, ihre Kunden zu betrügen?«
Renie wollte nicht darüber reden, wozu sie sie für fähig hielt, nicht einmal auf dem Privatband. »Kein Unternehmen kann sich halten, wenn es die Leute betrügt. Das ist eine Tatsache. Sogar die Clubs im Besitz des Broderbunds am Victoria Embankment – sie mögen ein bißchen draufschlagen und an Chargeheads und Drogensüchtige dealen, aber trotzdem müssen sie den Schein wahren.« Sie stand auf und schaltete wieder zurück. »Komm, wir schauen uns mal etwas um.«
Als sie und !Xabbu durch die Bogentür auf den Gehweg traten, der um das Becken herumführte, glühte tief unterhalb der friedlichen Wasseroberfläche ein Licht auf.
»Hier lang.« Sie ging darauf zu.
»Aber …« !Xabbu tat einen Schritt, dann blieb er stehen.
»Es ist alles nur Schein. Vergiß das nicht. Und sofern sie nicht die allgemein gebräuchlichen VR-Interfacesymbole aufgegeben haben, wird uns so der Weg nach draußen gezeigt.« Sie tat noch einen Schritt, zögerte kurz, dann beugte sie die Knie und sprang. Der Fall dauerte lange. Da ihr wirklicher Körper in der TH in den Gurten hing, hatte sie nicht die physische Empfindung zu fallen, aber hier in der Leisen Galerie sah sie das kristallklare leuchtende Blau auf sich zukommen, sah, wie ihr Eintauchen um sie herum einen Strudel von Bläschen erzeugte. Ein Lichtkreis schien in der Tiefe. Sie schwamm darauf zu.
Kurz darauf war !Xabbu neben ihr. Anders als Renie, die einen Hechtsprung Kopf voran mit ausgestreckten Armen imitiert hatte, sank er aufrecht stehend nach unten.
»Was …«, fing er an und mußte dann lachen. »Wir können ja sprechen!«
»Das ist kein Wasser. Und das da sind keine Fische.«
!Xabbu gluckste abermals vor Lachen, als eine große Wolke schimmernder Formen mit zuckenden Schwanzflossen und propellerartig schwirrenden Seitenflossen sie umringte. Ein Fisch mit abenteuerlich schwarz, gelb und rot gestreiften Schuppen schwamm vor dem Buschmann rückwärts, so daß seine Lippen fast !Xabbus Nasenspitze berührten. »Wunderbar!« sagte er und streckte die Hand danach aus. Der Fisch fuhr herum und schoß davon.
Der Durchgang leuchtete immer noch, aber das Wasser ringsherum schien dunkler zu werden. Sie waren auf ein anderes Level des Beckens oder vielmehr der Simulation hinübergewechselt – was Renie unter sich sah, machte den Eindruck eines Meeresbodens mit Felsen und weißem Sand und wogenden Seetangwäldern. Sie meinte sogar, im tiefen Schattengespinst des Waldes kurz eine beinahe menschliche Gestalt zu erspähen, ein Wesen mit Händen, Fingern und hellen Augen, aber mit dem muskulösen Schwanz eines Ozeanraubtiers. Hinter den plätschernden Geräuschen, die in ihre Kopfhörer eingespielt wurden, war ein tieferer Ton zu hören, eine Art Singen. Sie fand es beunruhigend; mit einer Geste versetzte sie sich und !Xabbu vor den schimmernden Ausgang.
Aus der Nähe wurde deutlich, daß die Öffnung aus mehreren
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