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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dich holen. Es sind Jankel, der Nette, und ein anderer, der Simmons heißt oder so ähnlich – du hast ihn nicht viel zu Gesicht bekommen. Früher sind immer mehr als zwei gekommen, aber die Zeiten ändern sich. Du hast natürlich kein Auge zugemacht, aber sie kommen trotzdem leise herein, als wollten sie dich nicht abrupt aufwecken.
    Es ist soweit, sagt Jankel zu dir. Er hat einen sich entschuldigenden Blick.
    Du ignorierst seine ausgestreckte Hand und stehst auf – du hast nicht vor, dir von irgendwem helfen zu lassen. Du wirst auf deinen eigenen zwei Beinen gehen, wenn du kannst, aber deine Knie sind ziemlich schwach. So viele Male hast du im Laufe der langen Nacht ihre Schritte im Flur gehört, gespenstische Vorboten. Jetzt fühlst du dich grau und verwackelt wie ein schlecht entwickeltes Foto. Du bist müde.
    Aber der Schlaf wartet schon. Bald wirst du schlafen.
    Ein Priester oder Pastor ist nicht da – du hast ihnen erklärt, du wolltest keinen. Welchen Trost sollte es dir geben, wenn dir ein Fremder von etwas vorbrabbelt, woran du nicht glaubst? Nur Jankel als Begleitung, und Simmons, oder wie er heißt, hält die Tür. Nur zwei unterbezahlte Kerkermeister, die die Überstunden am Sonntagmorgen brauchen. Natürlich kriegen sie dafür auch noch eine kleine Sonderzulage, denn der Job ist wirklich einer von der unangenehmen Sorte – und im privatisierten Strafvollzug kann niemand gezwungen werden, nur Häftlinge. Jankel mit seinen vielen Steuern fressenden Kindern muß das Geld nötig haben. Ansonsten würde sich höchstens ein Psychopath für diese Aufgabe melden.
    Der letzte Gang. Eher ein Schlurfen mit diesen dicken Nylonfesseln an den Füßen. Nichts, was du aus Filmen kennst, passiert. Die andern Häftlinge kommen nicht an ihre Gitter, um dir einen markigen Abschiedsgruß zuzurufen; die meisten schlafen, oder sie tun wenigstens so. Du hast das genauso gemacht, als Garza geholt wurde. Was hättest du sagen sollen? Und Jankel schreit nicht: Toter kommt! oder die üblichen andern Sachen – hat er nie. Das Äußerste in der Beziehung war ein ruhiges Gespräch, als du eingeliefert wurdest, in dem er dir knastfilmreif erklärte: Wenn du spurst, läuft alles glatt – wenn nicht, wird’s dir hier echt dreckig gehen. Jetzt sieht er still und betreten aus, als ob er einen fremden Hund, den er überfahren hat, zum Tierarzt tragen würde.
    Der Raum, in den sie dich bringen, ist eigentlich nicht für ärztliche Behandlungen gedacht – immerhin ist es der Hinrichtungsraum –, aber er sieht aus und riecht wie ein typisches Anstaltssprechzimmer. Der Arzt ist ein kleiner Mann – wenn er überhaupt ein Arzt ist. Man muß nur MTA sein, um eine Hinrichtung durchführen zu dürfen. Er hat offensichtlich ungefähr eine Viertelstunde länger gewartet, als er vorhatte, so daß sich der Frühstückskaffee in seinem Magen schon in Säure verwandelt hat. Er nickt, als alle hereinkommen, und ein ungutes Lächeln, wahrscheinlich nur Verdauungsbeschwerden und blanke Nerven, spielt auf seinen Lippen. Er nickt noch einmal und deutet dann ein wenig scheu auf einen Stahltisch, einen ganz normalen Untersuchungstisch, mit einem kleinen Achselzucken, als wollte er sagen: Wir wünschten, es ließe sich netter machen, aber du weißt ja, wie die Zeiten sind…
    Die beiden Wärter nehmen jeder einen Arm, während du deinen Hintern auf die Papierabdeckung schiebst – sie helfen dir im Grunde, sorgen dafür, daß deine zitternden Beine keinen peinlichen Zusammenbruch verursachen. Sie helfen dir, aber ihr Griff ist sehr, sehr fest.
    Du legst deine Beine auf den Tisch und läßt zu, daß sie dich sanft in die Rückenlage drücken. Sie fangen an, dich festzuschnallen.
    Bis zu dem Punkt hätte es irgendein Besuch beim Gefängnisarzt sein können, abgesehen davon, daß niemand ein Wort sagt. Eigentlich nicht verwunderlich – es gibt nicht viel zu sagen. Dein Leiden ist bereits diagnostiziert, der tödliche Ausgang ist gewiß.
    Gefährlich. Nichtsnutzig. Macht Scherereien. Schlechte Selbstbeherrschung. Lästig unterzubringen und teuer zu verpflegen. So kam ein Symptom zum andern. Die Kur ist beschlossene Sache.
    Es hat keinen Zweck, ihnen zu erzählen, daß du unschuldig bist. Das hast du jahrelang getan, in jeder erdenklichen Weise. Es hat nicht das geringste geändert. Die Gnadengesuche, die paar Zeitschriftenartikel – »Wir begraben unsere Fehler« lautete eine Überschrift, passend für Gefängnisse wie für Krankenhäuser – haben

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