Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
über Anfälle bis hin zum Koma, und es hat sogar ein oder zwei Todesfälle gegeben.« Chloe Afsani sah den Ausdruck im Gesicht der anderen Frau. »Keine Angst, Olga. Es ist nicht progressiv.«
»Ich verstehe nicht, was das heißt.« Mischa stupste sie auf eine sehr ablenkende Art in den Bauch, aber Chloes Worte hatten ihr einen eiskalten Schrecken eingejagt. Sie streichelte den kleinen Hund, um ihn zu beruhigen.
»Es schreitet nicht von einem Symptom zum nächstschlimmeren fort. Wenn du es hast – und kein Mensch behauptet das, Liebes, ich werde dir vielmehr gleich erklären, warum ich es für ziemlich ausgeschlossen halte –, und du kriegst Kopfschmerzen, dann kommt wahrscheinlich nichts Schlimmeres mehr hinterher.«
Der Gedanke, daß sie für den Rest ihres Lebens einen dieser grellen, zerreißenden Schmerzensblitze nach dem anderen haben könnte, war in gewisser Hinsicht erschreckender als die Aussicht darauf, einfach zu sterben. »Ist das die gute Neuigkeit?« fragte sie schwach. »Ist es heilbar?«
»Nein, nicht heilbar, aber das war nicht die gute Neuigkeit.« Chloe lächelte kummervoll. Ihre Zähne schienen weißer geworden zu sein, seit sie in eine höhere Position aufgestiegen war. »Ach, Olga, Liebes, mache ich alles nur noch schlimmer? Hör einfach zu, ich bin noch nicht fertig. Zunächst einmal hast du das höchstwahrscheinlich gar nicht, weil etwa fünfundneunzig Prozent der davon Betroffenen Kinder sind. Und was die Wahrscheinlichkeit noch erhöht, daß du es nicht hast, sondern vielmehr an Urlaubsbedürftigkeit in der allerextremsten Form leidest, ist die Art deiner Arbeit.«
»Was heißt das?«
»Also, jetzt kommt endlich die gute Neuigkeit. Das Tandagoresyndrom scheint netzbedingt zu sein, richtig? Das heißt, der einzige gemeinsame Faktor, abgesehen davon, daß es fast nur Kinder betrifft, ist häufige Netzbenutzung.«
»Aber ich benutze ständig Netzgeräte, Chloe! Das ist mein Beruf, das weißt du doch!«
»Laß mich zu Ende reden, Liebes.« Sie sagte es wie zu einem nörgelnden Kind. »Unter allen Kindern, deren Fälle die Recherchemaschinen finden konnten, war nicht ein einziges, das jemals an Onkel Jingles Dschungel oder einer der Begleitsendungen teilgenommen hat. Ich habe die medizinischen Dateien von WorldReach mit denen des Netzwerks vergleichen lassen und weiß das daher sicher. Denk mal drüber nach. Es haben im Lauf der Jahre Millionen von Kindern mitgemacht, und kein einziges ist jemals auf diese besondere Weise erkrankt.«
»Du willst damit sagen …«
»Daß die Ursache letzten Endes wahrscheinlich eine Art Störimpuls bei den Übertragungssignalen oder so was in der Richtung sein wird – vielleicht irgendwas, das die Hirnwellen beeinträchtigt. Das meint jedenfalls Tandagore, den Artikeln zufolge. Aber was es auch sei, unsere Übertragungssignale sind definitiv frei davon. Ipso facto – ein Ausdruck, den man in meiner Abteilung unbedingt kennen muß, meinst du nicht? – leidest du nicht am Tandagoresyndrom.«
Olga tätschelte Mischa und versuchte aus alledem schlau zu werden. »Du willst damit sagen, daß ich etwas nicht habe, wovon ich bis heute noch gar nichts wußte?«
Chloe lachte, aber eine leise Gereiztheit schwang darin mit. »Ich will sagen, daß dieses Tandagoredings die einzige Möglichkeit außer schlichtem Streß oder sonstigen Sachen ist, die die Ärzte schon ausgeschieden haben. Dein Arzt sagt, daß du gesund bist. Du kannst Tandagore nicht haben, weil niemand es kriegt, der auch nur entfernt mit der Sendung zu tun hat, deshalb muß es schlicht Überarbeitung sein und zu viele Sorgen.« Chloe strahlte. »Also hör auf, dir Sorgen zu machen!«
Olga dankte ihr herzlicher, als ihr zumute war, und schaltete aus. Mischa war eingeschlafen, und so blieb sie im Sessel sitzen, nachdem sie sich abgekabelt hatte. Die Sonne war hinter den Bahngleisen untergegangen, und das Wohnzimmer lag im Schatten. Olga lauschte den Stimmen der Vögel, einer der Gründe, weshalb sie in Juniper Bay wohnte. Groß genug, um Zwischenstationen zu haben, die einen großen Datendurchsatz bewältigen konnten, und klein genug, um noch Vögel zu haben. In Toronto gab es keine mehr außer Tauben und Möwen, und jemand im Nachrichtennetz hatte erklärt, alle noch lebenden Tauben seien ohnehin eine mutierte Abart.
Also war es entweder Streß, oder es war ein Dingsbumssyndrom, das sie nicht haben konnte. Chloe war jung und gescheit und hatte die besten kommerziellen Recherchemaschinen zur
Weitere Kostenlose Bücher