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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hatte, und er sehnte sich nach England. Ein schreckliches Schicksal schwebte immer noch über den Häuptern dieser Leute, und die hier Versammelten hatten bereits Furchtbares gelitten – jedesmal wenn er wieder im Begriff war, die außergewöhnlichen Umstände zu vergessen, fiel sein Blick auf den nächsten Marktbesucher mit fehlenden Gliedmaßen oder gräßlichen Brandwunden –, aber aus der Vernichtung, die er gesehen hatte, ein Leben aufzubauen, war wenigstens ein greifbares Ziel. Das war mehr, als er bisher von seiner Reise behaupten konnte.
    Im Grunde, erkannte er, war er müde – denkmüde, reisemüde, beinahe dieses ganzen Lebens müde.
    Als er die roten Backsteinmauern hinter sich ließ und in das Grün der sogenannten Wildnis (eigentlich ein Garten mit strengen Hecken und Eibenreihen) eintrat, besserte sich seine Stimmung ein wenig, obwohl auch hier das außerirdische scharlachrote Gras an manchen Stellen Wurzeln geschlagen hatte. Der Markt war in vollem Gange. Auf den Anhängern lagen landwirtschaftliche Produkte zuhauf, und es wurde lebhaft gehandelt. Überall, wohin er schaute, widersprach jemand energisch den Anpreisungen, die jemand anders von sich gab. Wenn er die Augen zusammenkniff, sah das Ganze beinahe wie eine ländliche Marktszene auf einem alten Stich aus. Er konnte die Pankies nirgends entdecken, was er nicht besonders tragisch fand.
    Während er seinen Blick über die Menge schweifen ließ, die vielleicht zwei- bis dreihundert Personen zählte, fiel ihm ein dunkelhaariger und dunkelhäutiger Mann auf, der ihn, wie es schien, seinerseits mit mehr als müßiger Neugier musterte. Als sich ihre Blicke begegneten, schlug der andere die Augen nieder und wandte sich ab, doch Paul wurde den Eindruck nicht los, daß der Mann ihn schon eine ganze Weile beobachtet hatte. Der dunkle Fremde drückte sich an zwei Frauen vorbei, die um einen Hund in einem Korb feilschten – Paul war sich nicht ganz sicher, zu welchem Zweck der Hund verkauft wurde, doch er meinte es zu ahnen und hoffte, daß Undine Pankie nichts davon mitkriegte –, und tauchte in der Menge unter.
    Paul zuckte mit den Achseln und schlenderte weiter. Außer den asiatischen Gesichtszügen, die selbst in dieser weit zurückliegenden Zeit nicht über die Maßen selten waren, hatte sich der Mann nicht wesentlich von den anderen unterschieden, und auf jeden Fall hatte er nicht die Panikreaktion ausgelöst, die Paul bisher jedesmal bei Gefahr von seinen Verfolgern gehabt hatte.
    Seine Gedanken wurden durch das plötzliche Erscheinen der Pankies unterbrochen. Frau Pankie war in Tränen aufgelöst, und ihr Mann bemühte sich, wenn auch ohne großen Erfolg, sie zu beruhigen. Einen Moment lang dachte Paul, sie hätte womöglich den Hundehandel mit angesehen und wäre an den armen gebratenen Dandy erinnert worden.
    »Ach, Herr Johnson, ist das grausam!« Sie krallte sich in seinen Ärmel und hob flehend ihr breites Gesicht zu ihm auf.
    »Vielleicht wollen sie ihn ja bloß als Wachhund haben …«, begann er, aber die Frau hörte gar nicht zu.
    »Ich habe sie gerade gesehen – genau das Alter, in dem unsere Viola gewesen wäre, wenn sie nicht… Ach, ist das grausam, ist das grausam!«
    »Na, na, Frau Pankie.« Sefton schaute sich nervös um. »Mach doch nicht so eine Szene.«
    »Viola?«
    »Unser kleines Mädchen. Sie war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten! Ich wollte hingehen und mit ihr reden, aber Herr Pankie ließ mich nicht. Ach, mein armes kleines Mädchen!«
    Paul schüttelte den Kopf. »Ihr kleines Mädchen? Aber Sie sagten doch, Sie hätten keine …«
    »Erfunden«, sagte Sefton Pankie mit fester Stimme, aber Paul meinte, eine Spur von Panik darin zu hören. »Als Trost sozusagen. Wir haben uns ein Kind ausgedacht, wissen Sie, ein Mädchen, und es Viola getauft. War es nicht so, Frau Pankie?«
    Undine schniefte und wischte sich mit ihren Ärmeln die Nase. »Meine liebe Viola.«
    »… Und dieses Mädchen da drüben bei den Hecken, na ja, sie sah so aus, wie wir … wie wir uns diese Tochter vorgestellt hatten. Verstehen Sie?« Er rang sich ein derart klägliches Lächeln ab, daß Paul am liebsten weggeguckt hätte. Einerlei was das hier war, Wahnsinn oder Schwindel, er hatte das Gefühl, in etwas Einblick zu nehmen, das er nicht sehen sollte.
    Frau Pankie hatte aufgehört zu weinen und schien erkannt zu haben, daß sie zu weit gegangen war. »Es tut mir furchtbar leid, Herr Johnson.« Ihr Lächeln war nicht glaubwürdiger als das ihres

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