Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
zusammengebissenen Zähnen hervor. »Beim Beatmen nicht – ansonsten würde ich dir mit deinem offenen Mund was Nützliches zu tun geben.«
»Entschuldigung.« William schlenkerte hilflos mit seinen langen Fingern. »Herrje, Entschuldigung.«
»Laß ihn nicht sterben!« Fredericks sprang aufgeregt neben ihr hin und her.
»Wenn er wie du im richtigen Leben im Krankenhaus liegt«, keuchte Florimel, »wird man dort mehr für ihn tun können, als ich es kann. Aber wenn sein Herz aufgehört hat zu schlagen, können wir ihn vielleicht am Leben erhalten, bis jemand zu ihm kommt.«
!Xabbu stand neben Renie auf den Hinterbeinen, eine Hand auf ihre Schulter gelegt. Die Zeit schien stillzustehen, jede Sekunde war quälend lang. Renie krampfte sich der Magen zusammen. Es war schrecklich, Orlandos Sim zu beobachten, mit anzusehen, wie sein Kopf schlaff hin und her fiel, während Florimel seine Brust walkte, aber sie konnte sich nicht abwenden. Eines der frisch geschlüpften Insekten brummte laut in geringem Abstand am Blattrand vorbei, und Renie wünschte ingrimmig, sie wäre wieder groß genug, um es zu zerklatschen.
»Das Rauschen wird schlimmer«, sagte Martine plötzlich, als merkte sie gar nicht, was sich um sie herum abspielte. »Das Rauschen in meinem Kopf.«
»Wir können im Moment nichts gegen die Insekten unternehmen«, sagte Renie. »Du mußt sie einfach ignorieren. Der Junge hier stirbt vielleicht!«
»Nein, es … es ist sehr laut.« Martine hob die Stimme. »Ah! O Gott, hilf mir, es … irgend etwas kommt…«
Das Blatt stieg abrupt in die Höhe, als ob eine große Faust es von unten geschlagen hätte, und einen Moment lang hingen Renie, !Xabbu und die anderen gewichtlos in der Luft. Sie konnten gerade einen kurzen verblüfften Blick wechseln, dann platschte das Blatt wieder aufs Wasser, und sie hatten ihre liebe Not, das Gleichgewicht zu halten.
Bevor sie ein Wort sagen konnten, erhob sich neben dem schwimmenden Blatt eine ungeheure glitzernde Gestalt aus den Fluten, groß wie der Bug eines Unterseebootes. Es war ein Fisch von geradezu halluzinatorischer Riesenhaftigkeit, von dessen glänzendem, fleckigem Rücken das Wasser strömte und dessen flaches Glotzauge größer als Renie war. Eine rosige Wunderkathedrale aus Fleisch und Knorpel wurde einen Augenblick lang in dem titanischen Rachen sichtbar. Während das Blatt noch in den schäumenden Wellen heftig hin und her wippte, schnappte das Maul mit einem Knall wie ein Kanonenschlag zu. Das junge Insekt verschwand. Der Fisch fiel in den hoch aufspritzenden Fluß zurück.
Gerade wirbelten die ersten Wellen das Blatt herum und schleuderten Renie und die anderen kreuz und quer über dessen unebene Fläche, als ein gewaltiger dunkler Schatten über sie hinwegsprang und auf der anderen Seite wieder in den Fluß klatschte, daß eine mächtige Fontäne hoch in die Luft schoß. Das zwischen zwei Wellen hängende Blatt kippte auf eine Seite. Kreischend rutschte Renie über die gerippte Oberfläche auf das aufgewühlte Wasser zu. Im letzten Moment wurde das untere Ende des Blattes von einer anderen auftauchenden Form nach oben geschlagen. Renie krachte gegen den faserigen, gekrümmten Rand und sackte benommen und atemlos zusammen.
Weitere Fische stießen mit den Köpfen durchs Wasser, um auch welche von den tanzenden Insekten zu erwischen, so daß die ganze Oberfläche des Flusses zu brodeln schien. Ein Schwall nach dem anderen ergoß sich über das Blatt, und augenblicklich stand das Wasser darauf hüfthoch. Renie versuchte verzweifelt sich aufzurappeln, aber das Blatt schaukelte zu wild.
» !Xabbu !« schrie sie. Undeutlich nahm sie menschliche Gestalten wahr, die rings um sie herum wie Kegel umgestoßen wurden, daß es nur so spritzte, und gleich darauf wieder alle auf eine Seite flogen, aber von dem Paviansim des kleinen Mannes war nichts zu sehen. Ein Erinnerungssplitter stach ihr ins Herz: !Xabbus schreckliche Angst im Wasser, als sie in Mister J’s gewesen waren, sein Kindheitstrauma von einem Krokodilsangriff. Wieder wollte sie seinen Namen rufen, doch eine über das Blatt hinweggehende Welle stopfte ihr den Mund mit Wasser und warf sie um.
»Festhalten!« brüllte jemand. Unmittelbar darauf sprang die Kante des Blattes abermals wie von einer Schnur gezogen nach oben, und was vorher waagerecht gewesen war, stellte sich blitzschnell senkrecht. Wieder hing Renie den Bruchteil einer Sekunde in der Luft, dann stürzte sie hinab in das dunkle Wasser. Es
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