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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Turmsteiger sind nicht nur erwachsene Männer und Frauen. Sie schickten einen Jungen zu mir hinauf. Er war vielleicht elf oder zwölf Jahre alt, aber er konnte so gut klettern wie ich, auch ohne den Vorteil dieses Paviankörpers. Er zog sich Griff um Griff in die Höhe, bis er nur wenige Meter unter mir einen Platz zum Stehen fand, von dem aus er mich mit einem Speerwurf leicht erreichen konnte. Da er die Waffe an der Schnur hängen hatte, konnte er einfach so lange werfen, bis er mich traf. So klein er war, war er doch immer noch um einiges größer als ich, so daß ich nicht hoffen konnte, den Speer zu erhaschen, ohne daß er mich einfach heruntergezerrt hätte.
    Seine Augen waren weit aufgerissen, doch sein Gesicht war so schmutzig, daß ich selbst im Licht des anbrechenden Tages sonst nicht viel mehr davon erkennen konnte. Er war sichtlich erregt, daß er an eine Stelle klettern konnte, wo keiner der älteren Männer hinkam, freute sich darüber, daß er es war, der seinen Leuten diese Beute heimbringen würde. Vielleicht war es seine erste Jagd mit den erwachsenen Männern. Er sang oder betete leise, während er den Arm nach hinten schwang.
    Ich rief: ›Bitte, töte mich nicht!‹
    Seine Augen wurden noch weiter, und er schrie: ›Spenst!‹ Das könnte ein Name gewesen sein oder schlicht die Art, wie er ›Gespenst‹ aussprach. Er wollte wohl ein Stück nach unten rutschen, doch statt dessen verlor er den Halt. Als seine Füße abglitten und er sich nur noch mit einer Hand hielt, starrte er mich trotz seiner Angst vor mir an, als könnte ich ihn irgendwie retten … doch ich war machtlos. Er stürzte. Die Männer kletterten rasch zu der Stelle, wo er aufgeschlagen war. Einer hob ihn auf und drückte ihn an die Brust, aber der Junge war eindeutig tot. Da kehrten sie mir den Rücken zu, als ob ich für sie nicht mehr existierte, nahmen den Jungen und begaben sich zurück zum übrigen Stamm.« !Xabbus Augen waren ungewöhnlich hart, als ob er beschlossen hätte, nicht über etwas zu sprechen, das ihn sehr betroffen gemacht hatte. »Ich wagte eine ganze Weile nicht herunterzukommen, und sie verzogen sich rasch. Ich mußte mehr oder weniger dem Weg folgen, den sie genommen hatten. Ich brauchte einen gut Teil des Tages, um wieder zum Turritorium zurückzufinden – die Dächer dieses Hauses ziehen sich wirklich endlos hin –, und eine weitere qualvolle Stunde, um den Turm zu finden, den sie ›Huckelinstrumm‹ genannt hatten.«
    »Aber du hast ihn gefunden, !Xabbu «, sagte Renie sanft. »Und du hast mir das Leben gerettet. Schon wieder.«
    !Xabbu ließ den Kopf hängen. »Er war noch ein Kind.«
    »Ein Kind, das dich töten wollte«, wandte sie ein.
    »Damit seine Familie zu essen hatte. Ich habe viele Male dasselbe getan.«
    »Es ist traurig, doch, doch«, meldete sich Bruder Factum Quintus zu Wort. »Vielleicht schulden einige von uns, die wir dieses Haus bewohnen, unseren weniger vom Glück begünstigten Brüdern etwas mehr, als wir ihnen bisher gegeben haben. Darüber lohnt es sich allerdings nachzudenken. Aber ich bin erstaunt, daß es auf den Dächern direkt über der Bibliothek tatsächlich noch Turmsteiger gibt. Sehr erstaunt. Was für Entdeckungen ich doch gemacht habe!«
    »Ich glaube, ich habe genug davon, ein Tier zu sein«, sagte !Xabbu leise.
     
     
    > »Code Delphi. Hier anfangen.
    Ich will versuchen, mich zu sammeln, aber es ist nicht leicht. Seit Renie und die anderen mich aus dem kleinen Zimmer befreit haben, ist mir zumute, als hätte man mir die Haut vom Leib gezogen. Kalt, schutzlos. Ich weine leicht. Irgendwie bin ich verändert, und nicht positiv verändert, habe ich den Eindruck.
    Wir sind wieder durch eine der Pforten getreten, in eine andere Welt übergewechselt. Ich kann das Meer riechen und die Demarkationspunkte wahrnehmen, die Sterne an einem unendlich weiten Himmel sein müssen. Aber nein, es ist noch zu früh, das zu erzählen. Ordnung. Ich muß zu einer Ordnung finden. Wenn schon das Universum keine hat, wenigstens keine, die wir erkennen können, dann ist es wohl unsere Aufgabe, ihm eine zu geben. Das habe ich immer geglaubt.
    Ich denke, ich glaube es immer noch.
     
    Ich fange noch einmal von vorne an.
    Wir konnten das Haus nicht sofort verlassen, hätten es auch nicht gekonnt, wenn wir alle gesund und bei Kräften gewesen wären – was wir durchaus nicht waren. Besonders Florimel hatte böse Verletzungen abbekommen. Es ist der reine Zufall, daß sie noch am Leben ist. Ich

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