Otherland 4: Meer des silbernen Lichts
!Xabbu hatten sich gegenseitig verdient, in jeder Hinsicht. Soviel Liebe, soviel Sturheit. Sie wünschte ihnen, daß sie sich den Rest ihres Lebens darüber streiten konnten, wer von ihnen den schwereren Teil übernehmen sollte. »Hast du dich deswegen hierhin verzogen? Weil du dir Vorwürfe gemacht hast, daß nicht du geschwommen bist, sondern ich, und daß ich einen Krampf gekriegt hab?«
Er hob abwehrend die Hand. »Nicht nur deswegen. Irgend etwas läßt mir keine Ruhe, aber ich weiß nicht, was es ist. Manchmal muß ich allein sein, um nachzudenken. Manchmal reicht das nicht aus. Ich hatte daran gedacht zu tanzen.«
»Tanzen?« Wenn er erklärt hätte, er habe sich vorgenommen, eine Rakete zu bauen, wäre ihre Verwunderung nicht größer gewesen.
»Für mich ist das … wie beten. Manchmal.« Er schnippte mit den Fingern, verdrossen über seine unzureichenden Ausdrucksmöglichkeiten. »Aber ich bin nicht soweit. Ich fühle es nicht.«
Sam wußte nicht, was sie sagen sollte. Nach kurzem Zögern stand sie auf. »Willst du, daß ich dich allein lasse? Oder sollen wir zurückgehen?«
!Xabbu zog seine Fackel aus dem Boden und schwang sich behende auf. »Es ist etwas anderes, was mich plagt«, sagte er. »Es reicht nicht aus, Jongleurs wahre Identität vor Azador zu verschweigen.«
Sam merkte, wie sie vor Scham rot wurde. »Tut mir leid. Das war dumm von mir heute.«
»Es ist schwer, ja unnatürlich, ständig auf solche Sachen zu achten. Aber ich glaube, wir müssen Jongleur begreiflich machen, daß Azador einen Haß auf die Gralsbruderschaft hat. Dann wird er wohl seine Zunge hüten müssen, und sei es bloß, um sich selbst zu schützen.«
»Das ist so abartig«, sagte Sam, während sie zu ihrem fast niedergebrannten Lagerfeuer zurückgingen. »Nichts hier ist wirklich, man kann nichts und niemandem trauen. Na ja, fast niemandem.« Sie versetzte !Xabbu einen kameradschaftlichen Stups. »Es ist wie … ich weiß nicht. Wie Karneval. Wie eine Maskerade.«
»Aber eine schreckliche Maskerade«, entgegnete er. »Gefährlich und schrecklich.«
Auf dem restlichen Weg zurück zum Lagerfeuer und den schlafenden Gestalten ihrer beiden Begleiter sagten sie nichts mehr.
Den nächsten Tag verbrachten sie mit der für Sams Gefühl völlig aussichtslosen Suche nach einer Möglichkeit, den Fluß zu überqueren. Sie streiften durch die Röhrichte am Flußrand, um irgendeinen Hinweis darauf zu finden, wie andere hinübergekommen waren – Fußspuren, die Überreste einer Brücke oder einer Anlegestelle –, aber ohne Erfolg. Sam war deprimiert, !Xabbu in sich zurückgezogen und grüblerisch. Jongleur war wie üblich mit sich selbst beschäftigt und sprach wenig. Nur Azador wirkte ungebeugt. Er redete fast den ganzen Tag, schwadronierte zwanghaft darüber, was für Abenteuer er im Netzwerk erlebt und was er alles herausgefunden hatte, alle möglichen Tricks und Finten, heimliche Abkürzungen innerhalb der Simwelten und gut versteckte Gateways zwischen ihnen. Einiges war zweifellos Angabe, aber dennoch war Sam vom Umfang seiner Kenntnisse beeindruckt. Wie lange irrte dieser Mann schon durch das Otherlandnetzwerk?
»Wo kommst du eigentlich her?« fragte sie ihn, als sie gerade durch einen seichten Altwasserarm wateten. Etliche verheißungsvoll aufgehäuften Steine erwiesen sich bloß als die Trümmer einer geborstenen größeren Felsplatte. »Ich meine, wo hast du vor dem hier gelebt?«
»Ich … ich möchte nicht darüber sprechen«, erwiderte er. Mit finsterer Miene stocherte er mit einem Schilfrohr in dem Schlick zwischen seinen Füßen. »Aber ich habe meine Zeit hier so sinnvoll genutzt wie überhaupt nur möglich. Ich habe Dinge in Erfahrung gebracht, die nach dem Willen der Erbauer dieses Netzwerks für alle Zeit hätten verborgen bleiben sollen…«
Sam hatte keine Lust, sich die nächste Litanei seiner Großtaten anzuhören. »Na ja, aber einen Weg über den Fluß weißt du auch nicht, da ist alles andere im Moment auch nicht viel wert.«
Azador blickte beleidigt. Das tat Sam leid – anders als Jongleur hatte er weder ihr noch ihren Freunden etwas getan –, und so versuchte sie, ein anderes Thema anzuschneiden.
»Aber ich denke, das Floß hast du ziemlich gut hingekriegt.« Obwohl es erst durch !Xabbus geschickte Reparatur flußtauglich geworden war, wie sie wohl wußte, aber lieber nicht erwähnte. »Es ist ja nicht deine Schuld, daß das System uns damit nicht rüberläßt.«
Er wirkte ein wenig
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