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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Geisteszustand zurückkehren, ich würde einfach nur immer weiter wie in Zeitlupe in diese Schwärze abstürzen. In gewisser Weise war es mir dadurch viel härter, wieder zu mir zu kommen, daß ich mich von meinen erschöpften Freunden umsorgt sah und obendrein von dieser Unbekannten, deren Glieder noch von den erlittenen Schmerzen zitterten, als ob ich ein übermüdetes, nörgeliges Kind wäre, das die Aufmerksamkeit einer Gruppe Erwachsener für sich beansprucht.
    Es gibt Zeiten, da ist Güte und Menschlichkeit die schmerzhafteste Wunde überhaupt.
    Doch schließlich verging auch meine Scham. Ich stellte fest, daß ich die beiden Neuen zumindest dem Namen nach kannte – Bonnie Mae Simpkins, die sich so freundlich um Orlando und Fredericks gekümmert hatte, und Nandi Paradivasch, der als erster Paul darüber aufgeklärt hatte, daß er in Jongleurs Simulationsnetzwerk gefangen war. Nandi, der sich mit Vorwürfen quälte, er habe Paul verraten, war in einem ähnlich unzugänglichen Zustand wie ich vorher und zudem sichtlich das Opfer schrecklicher Martern, aber diese Simpkins sprach für sie beide. Sie berichtete, daß nach der Öffnung des Gateways, durch das Orlando und Fredericks entkommen waren, die verbleibenden Mitglieder des Kreises zu lange warteten und daß sie dann vom Einsturz des großen Re-Tempels, verursacht durch Jongleurs Erscheinen als oberster Gott Osiris, ihrerseits an der Flucht gehindert wurden. Jongleur blieb nicht lange in seiner Simulationswelt, und die Überlebenden versteckten sich in den Trümmern und hofften, einen anderen Weg hinaus zu finden, doch wenige Tage darauf wurde Osiris von Anubis verdrängt, woraufhin sich die ohnehin schon schrecklichen Verhältnisse rapide weiter verschlechterten.
    Bonnie Mae Simpkins beschrieb das Zerstörungswerk, das auf Dreads Machtübernahme in der Simwelt folgte, eine Orgie des Mordens und Folterns, die mindestens so grauenhaft war wie das, was wir in Dodge City erlebt haben. Obwohl ich mich an dem Punkt schon als vollkommen abgestumpft empfand, entsetzte mich ihre Schilderung der Ereignisse: öffentliche Verbrennungen, Dreads sorgfältig orchestrierte Mordsymphonien, wilde Schakale, die in den Straßen die Kinderleichen fraßen, während die Eltern zum Zuschauen gezwungen wurden. Was mich vor allem entsetzte, war die Erkenntnis, daß diese Bestialität nicht einmal hier im Netzwerk, wo man jeder Laune hemmungslos frönen kann, an eine äußerste Grenze stoßen wird.
    Dreads Macht wächst, und mit ihr wächst seine Gier, aber wie lange können bloße Simulationen einen solchen Trieb befriedigen? Wenn er Jongleurs Herrschaftsgewalt im gleichen Maße außerhalb des Netzwerks hat wie innerhalb – und wenn Jongleur wirklich tot ist, wieso sollte Dread dann nicht auch dessen weltweite Fäden ziehen? –, dann bieten sich ihm schier unendliche Möglichkeiten.
    Während Bonnie Mae redete, kam mir plötzlich ein Gedanke, und ich fragte: ›Was ist eigentlich mit den anderen Kindern? Diesen herumfliegenden kleinen Kindern, von denen Orlando erzählt hat?‹ Ich konnte mich nicht mehr an den Namen erinnern, den sie sich gegeben hatten – Fiese Gruppe, Bösenclub, irgend etwas in der Art.
    Diese Frage stimmte sie noch trauriger. Sie erzählte uns, die Affenkinder hätten Orlando und Fredericks durch das Gateway folgen wollen, seien aber vom Chaos im Tempel des Re abgelenkt worden und daher alle noch dagewesen, als das Gateway zuging.
    Bonnie Mae Simpkins sagte, als die Soldaten sie und Nandi ausfindig machten und hierherbrachten, habe sie die Affenkinder verstecken wollen, doch diese seien weggeflogen, verfolgt von einigen Tempelwächtern. Bestimmt seien sie gefangengenommen und wahrscheinlich getötet worden, da selbst Dread wohl habe einsehen müssen, daß aus einer Horde von Kindern, die noch nicht einmal im Schulalter waren, kaum Informationen herauszuholen waren.
    Im weiteren berichtete sie von den Qualen, denen sie und Nandi vor allem deswegen unterzogen worden waren, weil Dread wußte, daß man sie in der Gesellschaft von Orlando und Fredericks gesehen hatte. Auch das entsetzte mich. Schlimm genug, daß wir in Bälde an Dread ausgeliefert werden sollen, aber noch viel schlimmer war es zu erfahren, daß er aktiv nach uns gesucht hat. Er hat, scheint es, seine Rache von langer Hand geplant.
    Doch der Gedanke an Orlandos Affenfreunde wollte mir nicht aus dem Kopf gehen.
    Ich hatte in gewisser Weise eine Schwelle überschritten. Ich war auf den Tod gefaßt

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