Otherland 4: Meer des silbernen Lichts
Militär alarmiert hat, nicht wahr? Du hast sie anonym über einen Einbruch in ihr ›Wespennest‹ informiert.«
Sellars nickte. »Es war das einzige, was ich noch unternehmen konnte, um euch zu helfen. Ich war zu dem Zeitpunkt völlig überlastet. Ich bin heilfroh, daß es geklappt hat.« Er hob den Kopf etwas an, als hörte er ein fernes Geräusch. »Ah. Martine ist da.«
Gleich darauf erschien Martine Desroubins – oder vielmehr, ein nahezu ausdrucksloser Sim saß plötzlich auf einem der Stühle. Renie war betroffen. Sie hatte ihre Zweifel gehabt, ob sie tatsächlich Martines Gesicht zu sehen bekommen würde, obwohl Sellars dafür gesorgt hatte, daß alle anderen so aussahen wie in Wirklichkeit, aber der kaum menschenähnliche Sim blieb selbst hinter ihren bescheidensten Erwartungen zurück.
»Hallo, Martine«, sagte !Xabbu . Sie nickte nur.
Sie leidet, dachte Renie. Sie leidet sehr. Was können wir tun?
Renie wurde rasch durch T4b und Florimel abgelenkt, die gleich darauf im Abstand von einer halben Minute eintrafen. T4bs wahres Gesicht kannte sie bereits, obwohl er vorher nie seine glatten schwarzen Haare gekämmt und seine sämtlichen Leuchtröhren unter der Haut angestellt hatte.
»Sind nur halb aufgedreht«, erklärte er. »Hat mehr Klasse, tick?« Er hielt ihnen seine linke Hand hin, die wieder völlig normal aussah. »Schade, daß die nicht mehr so satt schimmerig ist wie im Netzwerk. Das war cräsh!«
Florimels richtiges Gesicht war ein wenig überraschend. Sie sah jünger aus als die Bäuerin, deren Sim sie so lange getragen hatte, höchstens Mitte dreißig, mit einem offenen, attraktiven, breiten Gesicht und einem praktischen Kurzhaarschnitt, kaum länger als Renies. Die schwarze Augenklappe war das einzige, womit sie in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt hätte.
»Wie geht’s deinem Auge?« erkundigte sich Renie.
Florimel küßte sie und dann !Xabbu auf beide Backen. »Nicht gut. Ich bin auf dem Auge so gut wie blind, das Ohr allerdings macht Fortschritte – mein Gehör kommt langsam zurück.« Sie wandte sich Sellars zu. »Aber ich bin dankbar für die Hilfe, nicht nur bei meinen eigenen Verletzungen, auch bei Eirene. Krankenhäuser sind sehr teuer.«
Das erinnerte Renie daran, daß sie über das Geld reden wollte, aber Florimel hatte ein wichtigeres Thema angesprochen. »Wie geht’s ihr?«
Florimels Mund verzog sich zu einem traurigen Lächeln. »Sie ist zwischendurch immer wieder mal bei Bewußtsein, aber sie nimmt mich nicht wirklich wahr. Noch nicht. Ich kann nicht lange bei diesem Treffen bleiben. Ich möchte nicht, daß sie allein aufwacht.« Sie schwieg einen Moment. »Und dein Bruder? Ich habe gehört, die Anzeichen sind gut.«
Renie nickte. »Bis jetzt. Stephen ist wach und redet – er erkennt mich und unsern Vater. Er hat noch einen langen Weg vor sich, viel Physiotherapie, und möglicherweise treten andere, noch nicht vorhersehbare Probleme auf, aber ja, erstmal sieht es gut aus.«
»Das sind wirklich gute Neuigkeiten, Renie«, sagte Florimel.
Hideki Kunohara nickte. »Ich gratuliere.«
»Mega dsang«, fügte T4b hinzu.
»Ich bin sicher, Eirene wird es auch bald besser gehen, genau wie Stephen«, meinte Renie.
»Sie hat die besten Ärzte in Deutschland«, erwiderte Florimel. »Ich habe Hoffnung.«
»Das bringt mich auf was.« Renie wandte sich an Sellars. »Das Geld. Wie komme ich zu einem Konto mit mehreren Millionen Krediten?«
Er legte sein haarloses Haupt leicht schief. »Brauchst du mehr?«
»Nein! Nein, ich brauche nicht mehr. Im Gegenteil, ich weiß nicht, ob ich irgendwas davon brauche … oder verdient habe.«
»Du hast alles verdient«, widersprach ihr Sellars. »Geld ist ein armseliger Ersatz, aber es wird dir helfen, für deine Familie zu sorgen. Bitte, du und alle andern hier, ihr habt Schreckliches durchgemacht, und zum großen Teil deshalb, weil ich euch da hineingezogen habe. Und ich habe keine Verwendung mehr dafür.«
»Darum geht’s nicht …!« begann sie, wurde aber durch das plötzliche Auftauchen eines gutgekleideten Mannes unterbrochen, den sie nicht kannte. Sellars stellte ihn als Decatur Ramsey vor, einen Amerikaner. Ramsey begrüßte Renie und die anderen, als lernte er endlich Leute persönlich kennen, die ihm vom Hörensagen schon lange ein Begriff waren. »Sam Fredericks und Orlando Gardiner werden auch jeden Moment hier sein«, sagte Ramsey. »Sie müssen nur noch ihre Vorbereitungen für ein … kleines Projekt
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