Outlaw - Child, L: Outlaw - Nothing to Lose (12 Reacher)
und suchte Stellagen mit Werkzeug ab, bis er ein Regal mit leinenen Arbeitshosen und Flanellhemden fand. Traditionelle amerikanische Kleidung, aber in China beziehungsweise Kambodscha hergestellt. Er entschied sich für eine Hose in dunklem Olivgrün und ein schlammfarbenes kariertes Hemd. Nicht so billig, wie er sich gewünscht hätte, aber noch preiswert. Der Verkäufer wickelte alles in braunes Packpapier. Er brachte seine Einkäufe ins Motel, rasierte sich, duschte lange, trocknete sich ab und zog die neuen Sachen an. Seine alte graue Hausmeisterkleidung stopfte er in den Abfalleimer.
Besser als Wäsche zu waschen.
Die neuen Sachen waren ziemlich steif und erschwerten das Gehen. Offenbar nahm die fernöstliche Textilindustrie die Frage der Haltbarkeit sehr ernst. Reacher machte Kniebeugen und spannte seine Bizepse an, bis die Appretur geschmeidig geworden war. Dann verließ er sein Zimmer und ging die Reihe entlang zu Lucy Andersons Tür. Er klopfte an und wartete. Eine halbe Minute später öffnete sie. Sie sah genau wie beim letzten Mal aus. Lange Beine, kurze Shorts, blassblaues Sweatshirt ohne Aufdruck. Jung und verletzlich, misstrauisch und feindselig. Sie sagte: »Ich habe Sie aufgefordert, mich in Ruhe zu lassen.«
Er sagte: »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich heute Ihren Mann gesehen habe.«
Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher, aber nur für einige Sekunden.
»Wo?«, fragte sie.
»In Despair. Er scheint dort ein Zimmer zu haben.«
»War alles in Ordnung mit ihm?«
»Ich denke schon.«
»Was werden Sie seinetwegen unternehmen?«
»Was soll ich seinetwegen unternehmen?«
Ihr Gesichtsausdruck wirkte wieder verschlossen. »Sie sollen ihn in Ruhe lassen.«
Reacher sagte: »Ich lasse ihn in Ruhe. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich kein Cop mehr bin. Ich bin ein Landstreicher – genau wie Sie.«
»Wozu waren Sie dann noch mal in Despair?«
»Das ist eine lange Geschichte. Ich musste wieder hin.«
»Ich glaube Ihnen nicht. Sie sind ein Cop.«
»Sie haben gesehen, was ich in den Taschen hatte.«
»Sie haben Ihre Polizeiplakette in Ihrem Zimmer gelassen.«
»Das stimmt nicht. Wollen Sie selbst nachsehen? Mein Zimmer ist gleich dort drüben.«
Sie starrte ihn ängstlich an und stemmte beide Hände gegen den Türrahmen, als wäre er im Begriff, sie zu packen und in sein Zimmer zu schleifen. Fünfzehn Meter links von Reacher trat die Angestellte vom Empfang des Motels aus ihrem Büro. Sie war eine stämmige Frau um die fünfzig. Sie entdeckte Reacher und die junge Frau, blieb stehen und beobachtete die beiden. Dann wollte sie weitergehen, änderte jedoch ihre Richtung und kam auf sie zu. Nach Reachers Erfahrung waren Motelangestellte entweder sehr neugierig oder nicht im Geringsten an ihren Gästen interessiert. Diese hier schien zur neugierigen Kategorie zu gehören. Er machte einen Schritt zurück, damit Lucy Anderson sich nicht bedrängt fühlen musste, und hob freundlich und beschwichtigend die Hände.
»Keine Panik«, sagte er. »Wollte ich Ihnen etwas antun, hätte ich’s längst getan, glauben Sie nicht auch? Ihnen und Ihrem Mann.«
Sie gab keine Antwort. Drehte nur den Kopf zur Seite und sah die Angestellte kommen. Sie wich in den Schatten des kleinen Vorraums zurück und knallte die Tür zu – alles in einer einzigen flüssigen Bewegung. Reacher wandte sich ab, aber er wusste, dass er’s nicht rechtzeitig schaffen würde. Die Angestellte war schon zu nahe heran.
»Entschuldigung«, sagte sie.
Reacher blieb stehen. Drehte sich um. Sagte nichts.
Die Stämmige sagte: »Sie sollten diese junge Frau in Ruhe lassen.«
»Sollte ich?«
»Wenn Sie hierbleiben wollen.«
»Ist das eine Drohung?«
»Ich versuche, einen gewissen Standard zu halten.«
»Und ich versuche, ihr zu helfen.«
»Sie glaubt das genaue Gegenteil.«
»Sie haben mit ihr gesprochen?«
»Ich höre so manches.«
»Ich bin kein Cop!«
»Sie sehen wie einer aus.«
»Dafür kann ich nichts.«
»Sie sollten wegen ein paar wirklicher Verbrechen ermitteln.«
»Ich ermittle wegen überhaupt keiner Verbrechen. Ich bin kein Cop, das habe ich Ihnen bereits gesagt.«
Die Frau gab keine Antwort.
Reacher fragte: »Was für wirkliche Verbrechen?«
»Verstöße.«
»Wo?«
»In der Recyclinganlage in Despair.«
»Was für Verstöße?«
»Alle möglichen.«
»Verstöße gehen mich nichts an. Ich bin kein EPA -Inspektor. Ich bin überhaupt keine Art Inspektor.«
Die Frau sagte: »Dann sollten Sie sich fragen, warum
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