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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Meter über einem Steinboden! Wenn etwas passiert
wäre – dann wegen Ihrer Nachlässigkeit.« Harold Crosby schloß die Augen, als
befürchte [325]  er, Barb Wiggin würde ihn gleich
schlagen – oder wieder in den Engelapparat packen.
    »Ich bedaure…« setzte Barb Wiggin an, doch Dan schnitt ihr das Wort
ab.
    »Sie werden keine Regeln für Owen Meany
aufstellen«, sagte Dan Needham. »Sie sind nicht der
Rector, sondern die Frau des Rectors. Sie hatten eine
Aufgabe zu erfüllen – und zwar, diesen Jungen hier sicher wieder auf den
Erdboden zu bringen – und das haben Sie vergessen. Ich werde es auch vergessen – und Sie werden vergessen,
daß Sie Owen sprechen wollten. Owen darf jederzeit in diese Kirche kommen; Ihre
Erlaubnis dazu braucht er nicht. Wenn der Rector mit
Owen sprechen möchte, dann soll er mich anrufen.« Und
dann stellte Dan Needham den glitschigen Harold Crosby auf den Boden, der auf
eine Art nach seinen Kleidern suchte, als habe der Engelsapparat die
Blutzirkulation in seinen Beinen unterbrochen; unsicher wankte er im Vorraum
herum – die anderen Kinder gingen ihm aus dem Weg, weil er so stank. Dan
Needham legte mir die Hände in den Nacken; sachte schob er mich vorwärts, bis
ich direkt zwischen ihm und Barb Wiggin stand. »Dieses Kind hier ist nicht Ihr
Botenjunge, Mrs.   Wiggin«, sagte er. »Ich möchte das alles nicht im
Kirchenvorstand vorbringen.«
    Stewardessen haben bestenfalls marginale Autorität; Barb Wiggin
wußte, wann ihr auch die entglitten war. Sie wirkte sehr entgegenkommend, so
entgegenkommend, daß es mir schon peinlich wurde. Eifrig wandte sie sich der
Aufgabe zu, Harold Crosby frische Kleider anzuziehen. Sie wurde gerade
rechtzeitig damit fertig; Harolds Mutter betrat den Vorraum, als Dan und ich
das Gemeindehaus verließen. »Na, das war sicher sehr schön!« meinte Mrs.
Crosby. »Hat es dir Spaß gemacht, mein Liebling?« fragte sie ihn. Als Harold
nickte, drückte Barb Wiggin ihn spontan an ihre Hüfte.
    Mr.   Fish hatte den Rector gefunden. Rev. Dudley Wiggin war [326]  mit den Weihnachtskerzen zugange, maß ihre Länge,
um festzustellen, welche man auch nächstes Jahr noch verwenden konnte. Rev.
Dudley Wiggin besaß den gesunden Piloteninstinkt, immer nach vorn zu schauen;
bei der Gegenwart hielt er sich nicht lange auf – besonders nicht bei
Katastrophen. Niemals würde er Dan anrufen und ihm sagen, er wollte mit Owen
sprechen; Owen durfte weiterhin jederzeit in die Christ Church kommen, ohne
vorher mit dem Rector gesprochen zu haben.
    »Es hat mir gut gefallen, wie Josef und Maria das Jesuskind weg getragen haben«, sagte Mr.   Fish.
    »Ach ja, tatsächlich?« erwiderte der Rector.
    »Das Ende ist großartig – sehr dramatisch«, lobte Mr.   Fish.
    »Ja, wirklich toll, nicht?« gab der Rector zurück. »Vielleicht
überlegen wir uns etwas Ähnliches – für nächstes Jahr.«
    »Natürlich braucht man für diese Rolle jemanden von Owens Format«,
meinte Mr.   Fish. »Ich wette, so ein Jesuskind kriegen Sie nicht jedes Jahr.«
    »Nein, das ganz gewiß nicht«, pflichtete ihm der Rector bei.
    »Er ist einfach ein Naturtalent«, sagte Mr.   Fish.
    »Ganz gewiß«, erwiderte der Rector.
    »Haben Sie schon Ein Weihnachtslied gesehen?« wollte Mr.   Fish wissen.
    »Dieses Jahr noch nicht«, meinte der Rector.
    »Was machen Sie am Weihnachtsabend?« fragte ihn Mr.   Fish.
    Ich wußte, was ich am Weihnachtsabend gern gemacht hätte: Ich
wünschte, ich wäre in Sawyer Depot und würde mit meiner Mutter darauf warten,
daß Dan mit dem Nachtzug ankam. So war es an Weihnachten immer gewesen, seit
meine Mutter und Dan zusammen waren. Mutter und ich genossen die
Gastfreundschaft der Eastmans, und ich tobte mit meinen rauhbeinigen Vettern
und Hester herum, und Dan kam am Weihnachtsabend nach der letzten Aufführung
der Gravesend Players. Er war immer müde, [327]  wenn
er aus dem Zug stieg, doch alle im Haus der Eastmans – sogar meine Großmutter – warteten auf ihn. Onkel Alfred mixte Dan einen »Schlummertrunk«, während meine
Mutter und Tante Martha uns Kinder ins Bett brachten.
    Um Viertel vor zwölf zogen wir uns warm an und gingen nach draußen;
an Weihnachten, um Mitternacht, war das Wetter hoch oben im Norden für
Erwachsene nicht sonderlich einladend – alle waren damit einverstanden, daß wir
Kinder Dan vom Bahnhof abholten. Wir waren gerne so früh da, daß wir noch eine
Menge Schneebälle machen konnten; der Zug kam immer pünktlich – damals.

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