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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Lonsdale Road; die Sonne war uns so
willkommen, und sie schien so warm.
    Wir freuten uns wie Kinder über diese Wärme, als hätten wir Jahre in
einer Atmosphäre verbracht, die so kalt war wie das Grab, in dem Maria
Magdalena Jesu Leichnam nicht mehr fand. Katherine Keeling lehnte sich an mich
und flüsterte mir – auf eine Art, die mich an Owen Meany erinnerte – ins Ohr:
»Diese Vögel, die erst nach Norden und dann wieder nach Süden geflogen sind – heute fliegen sie wieder nach Norden.«
    [397]  »Halleluja«, sagte ich. Ich
dachte an Owen, als ich anfügte: »Er ist auferstanden.«
    »Halleluja«, sagte auch Rev. Mrs.   Keeling.
    Da der Fernseher in unserem Haus in der Front Street immer »an«
war, verlor er bald seinen Reiz für Owen und mich. Wir konnten Großmutter
hören, die entweder mit sich selbst oder mit Ethel redete – manchmal sogar mit
dem Fernseher – und ihre Kommentare abgab, und wir hörten das Anschwellen und
Abklingen des Studiogelächters. Unser Haus war groß; vier Jahre lang hatten
Owen und ich den Eindruck, daß wir ständig eine Gruppe Erwachsener bei einer
verbotenen Versammlung in einem entlegenen Raum beherbergten. Meine Großmutter
klang, als sei sie die ränkeschmiedende Anführerin eines willfährigen Mobs, als
sei es ihre spezielle Aufgabe, ihr Publikum zu schelten und zum Lachen zu
bringen, und beides mehr oder minder gleichzeitig – denn die Menge beantwortete
Großmutters witzige Bemerkungen umgehend mit Gelächter, als sei es überaus
amüsant, daß der Ton, mit dem sie zu ihnen sprach, immer gleich gehässig war.
Auf diese Weise bekamen Owen Meany und ich heraus, was für ein Schwachsinn
Fernsehen ist, ohne jemals auf den Gedanken zu kommen, wir wären nicht von ganz
allein zu dieser Einsicht gelangt; hätte meine Großmutter uns nur zwei Stunden
am Tag fernsehen lassen, oder hätte sie uns an Schultagen nicht mehr als eine
Stunde erlaubt, wären wir wahrscheinlich genauso stark davon in Bann gezogen
worden wie der Rest unserer Generation. Owen mochte nur wenige Sendungen, die
er im Fernsehen sah, doch er sah sich alles an – so viel er ertragen konnte.
Nach vier Jahren Fernsehen mochte er jedoch nur noch Liberace und die alten
Kinofilme. Ich machte ihm alles nach, oder versuchte es zumindest. Zum Beispiel
im Sommer 1958, als wir beide sechzehn waren, machte Owen seinen Führerschein
früher als ich – nicht nur, weil er einen Monat älter war, sondern weil er
schon fahren konnte; er hatte in den verschiedenen Lastwagen [398]  seines Vater geübt – war auf den steilen,
kurvigen Wegen rund um die Steinbrüche gefahren, die den größten Teil des
Maiden Hill durchlöcherten.
    Er machte den Führerschein an seinem sechzehnten Geburtstag, auf dem
tomatenroten Kleintransporter seines Vaters; damals gab es in New Hampshire
keine Fahrschulen, und die Prüfung nahm ein örtlicher Polizeibeamter ab, der
während der Fahrt auf dem Beifahrersitz saß – er sagte einem, wo man hinfahren,
stehenbleiben, rückwärtsfahren oder einparken sollte. Der Polizist bei Owens
Prüfung war Chief Ben Pike in höchst eigener Person; Chief Pike äußerte
Bedenken, ob Owen überhaupt an die Pedale kommen würde – oder über das Lenkrad
sehen konnte. Doch Owen hatte bereits vorgesorgt: Er war technisch begabt und
hatte den Sitz des Kleintransporters so hoch gestellt, daß Chief Pike mit dem
Kopf ans Dach stieß; außerdem hatte Owen den Sitz so weit nach vorn geschoben,
daß Chief Pike erhebliche Schwierigkeiten hatte, seine Knie unter das
Armaturenbrett zu quetschen – Chief Pike saß so unbequem im Führerhaus, daß
Owens Prüfungsfahrt nicht lange dauerte, » ER HAT MICH
NICHT MAL RÜCKWÄRTS EINPARKEN LASSEN !« beschwerte sich Owen; er
war enttäuscht, daß er keine Gelegenheit bekommen hatte, seine Einparkkünste
vorzuführen – Owen Meany konnte diesen tomatenroten Kleintransporter in einen
Parkplatz bugsieren, mit dem ein Käfer seine liebe Mühe gehabt hätte. Im
Nachhinein nimmt es mich wunder, daß Chief Pike nicht das Innere des
Transporters nach jenem »Todeswerkzeug«, das er noch immer nicht gefunden
hatte, durchsuchte.
    Dan Needham brachte mir das Fahren bei; es war in dem Sommer, als er
mit der Schülertruppe der Academy Shakespeares Julius Caesar aufführte, und jeden Morgen vor der Probe gab er mir eine Fahrstunde. Dan fuhr
mich zum Maiden Hill. Ich übte auf den entlegenen Wegen um die Steinbrüche – die Wege, auf denen Owen geübt hatte, waren auch für mich gut

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