Owen Meany
Lokal für einsame Männer oder Frauen; es war auch keine
Bar; es war ein Nachtclub, und ein Nachtclub, so versicherten uns die
Giordanos, war ein Restaurant mit Live-Musik – »was [487] Beruhigendes,
damit man das Essen gut verdauen kann!« Gegen zehn Uhr boten Pianist und
Sängerin Musik, die eher zum Tanzen als zu Unterhaltungen anregte – und dann
wurde auch getanzt, bis Mitternacht; Männer tanzten mit ihren Frauen, oder
zumindest mit »ernsthaften« Bekanntschaften. Es war »kein Ort, an den man ein
Flittchen mitnimmt – oder wo man eines findet«. Und an den meisten Abenden trat
»eine Sängerin, von der wohl jeder schon gehört hat«, auf; doch Owen Meany und
ich hatten die Namen, die die Giordanos dann aufzählten, noch nie gehört. Die »Lady in Red« sang nur einmal die Woche;
die Giordanos hatten vergessen, welcher Tag das war,
doch mit dieser Information konnten Owen und ich sie versorgen. Es mußte
Mittwoch gewesen sein – immer mittwochs. Angeblich war der Gesangslehrer meiner
Mutter so berühmt, daß er nur Donnerstag morgens Zeit für sie hatte – und zwar
so früh, daß sie die Nacht vorher in der »gefürchteten« Stadt verbringen mußte.
Warum sie nie unter ihrem eigenen Namen sang – warum sie immer die
»Lady in Red« war – das wußten die Giordanos nicht. Ebensowenig konnten sie
sich an den Namen des Nachtclubs erinnern; sie wußten nur, daß es ihn jetzt
nicht mehr gab. Er hatte immer wie ein Privathaus ausgesehen; und jetzt war er
wohl auch dazu geworden – »irgendwo in der Beacon Street«, genauer konnten sie
es nicht mehr sagen. Entweder war es jetzt ein Wohnhaus oder ein Gebäude mit
Arztpraxen. Und der Besitzer des Clubs war ein Jude aus Miami gewesen. Die
Giordanos hatten gehört, daß er wieder nach Miami zurückgegangen war.
»Wahrscheinlich haben die da unten immer noch Nachtclubs«, meinte der alte Mr.
Giordano. Er war bestürzt, daß meine Mutter tot war; die »Lady in Red« war bei
den Besuchern des Nachtclubs recht beliebt gewesen – »nicht berühmt, nicht so
wie die anderen, aber sie gehörte irgendwie zum Club dazu.«
Die Giordanos erinnerten sich daran, daß sie gekommen war, dann – eine Zeitlang – wegblieb und daß sie dann wiederkam. [488] Später
war sie dann für immer weggegangen; doch die Leute glaubten es nicht und
sprachen noch jahrelang davon, daß sie wiederkommen würde. Und als sie »eine
Zeitlang« weggewesen war, das war natürlich in der Zeit, als ich geboren wurde.
Die Giordanos hatten Mühe, sich an den Namen des farbigen Pianisten
zu erinnern; »der war schon so lange dagewesen, daß er zum Inventar gehört
hat«, meinten sie. Das einzige, was ihnen noch einfiel, war der Name »Buster«.
»Big Black Buster!«
sagte Mr. Giordano.
»Der war aber nicht aus Miami«, meinte der
Sohn.
»GANZ OFFENSICHTLICH «, sagte Owen zu
mir, als wir wieder draußen auf der Newbury Street standen, » IST DIESER ›BIG BLACK BUSTER‹ NICHT DEIN VATER!«
Ich wollte Owen fragen, ob er noch immer Namen und Adresse – und
vielleicht sogar auch die Telefonnummer – des Sprech- und Gesangslehrers meiner
Mutter hatte; ich wußte, daß meine Mutter ihm diese Informationen gegeben
hatte, und ich war sicher, daß Owen niemals etwas wegwerfen würde, was sie ihm
gegeben hatte.
Doch ich brauchte ihn nicht zu fragen. Wieder fuhr seine kleine Hand
in die Tasche. » ER WOHNT HIER IN DER GEGEND «, sagte er
mir. »ICH HAB EINEN TERMIN GEMACHT, DAMIT ER MEINE STIMME
›UNTERSUCHT‹; ALS ER MEINE STIMME GEHÖRT HAT – AM TELEFON – HAT ER GESAGT, ICH
KÖNNE EINEN TERMIN HABEN, WANN IMMER ICH WOLLE.«
So war Owen Meany nach Boston gekommen, in die gefürchtete Stadt;
und er hatte sich gut darauf vorbereitet.
Einige elegante Stadthäuser standen in dem mit Bäumen gesäumten
Teil der Commonwealth Avenue, in der Graham McSwiney, der Sprech- und
Gesangslehrer, wohnte; doch Mr. McSwiney wohnte in einer kleinen,
unordentlichen Wohnung, zu der kein Aufzug führte, in einem der weniger schön
renovierten alten [489] Häuser, deren Bewohner
die Miete wahrscheinlich nicht oder immer verspätet zahlten. Da wir etwas zu
früh da waren, setzten wir uns in den Flur vor Mr. McSwineys Wohnungstür, an
der mit einer Reißzwecke ein handbeschriebener Zettel angebracht war:
Bei Gesang
bitte nicht klopfen oder klingeln!!!
»Gesang« war es nicht direkt, was wir hörten, sondern eher eine
Art Stimmübung, die hinter der geschlossenen Tür von Mr. McSwiney
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