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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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schnaubte Mr.   Chickering.
    Alle Spieler hatten sich hinter die Holzbänke stellen müssen, als
der Polizist meine Mutter fotografierte. Sie standen immer noch da, und
starrten über die leeren Bänke hinweg auf das mörderische Spielfeld. Einige
Leute aus der Stadt standen neben ihnen – Mütter und Väter und eifrige
Baseballfans. Später erinnerte ich mich dann an Owens Stimme, die in meiner
Dunkelheit zu mir sprach, denn mein Kopf steckte immer noch unter der Jacke.
    »ES TUT MIR LEID!«
    Und Stück für Stück kam über die Jahre alles wieder zurück – jeder,
der dort hinter den Holzbänken stand, und jeder, der
nach Hause gegangen war.
    [58]  Doch damals zog ich mir die
Jacke vom Kopf, und alles, was ich wußte, war, daß Owen Meany nicht hinter den Holzbänken stand. Mr.   Chickering mußte
das gleiche gesehen haben.
    »Owen!« rief er.
    »Er ist nach Hause gegangen!« rief jemand zurück.
    »Er hatte sein Fahrrad dabei!« sagte jemand anderes.
    Ich konnte ihn mir genau vorstellen, wie er mit seinem Rad gegen den
Maiden Hill ankämpfte – erst trat er noch kräftig in die Pedale, dann immer
mühsamer, und schließlich mußte er absteigen und das Rad schieben, ein ganzes
Stück, mit Blick auf den Fluß. Damals waren unsere Baseballtrikots aus einer
kratzigen Wolle, und ich konnte das von Owen sehen, schweißgetränkt, die Nummer
drei viel zu groß für seinen Rücken – wenn er es sich in die Hose steckte,
steckte er die Hälfte der Zahl mit hinein, so daß jeder, der ihn auf dem Weg
den Hügel hinauf überholte, denken mußte, er sei Nummer zwei.
    Es gab wohl keinen Grund für ihn zu warten; meine Mutter fuhr ihn
und sein Rad nach dem Spiel immer nach Hause.
    Natürlich hat Owen den Ball, dachte ich. Er war ein Sammler; man
brauchte nur an seine Baseballkarten zu denken. »Schließlich«, sagte Mr.
Chickering in späteren Jahren, »war es der einzige saubere Schlag, den der
Junge je gemacht hat, das einzige Mal, wo er überhaupt richtig geschlagen hat.
Und selbst der Ball war ein Fehlschlag, ein Wurf ins Aus. Ganz zu schweigen
davon, daß jemand damit getötet wurde.«
    Und was ist schon dabei, wenn Owen den Ball hat? dachte ich. Doch damals dachte ich hauptsächlich an meine Mutter; ich begann
bereits ärgerlich auf sie zu werden, weil sie mir nie gesagt hatte, wer mein
Vater war.
    Damals war ich erst elf; ich hatte keine Ahnung, wer diesem
Baseballspiel noch zugesehen hatte, diesem Spiel und dem Tod – und wer seine
eigenen Gründe dafür hatte, den Ball, den Owen Meany geschlagen hatte, an sich
zu nehmen.

[59]  2
    Das Gürteltier
    Meine Mutter hieß Tabitha, doch außer meiner Großmutter
nannte niemand sie so. Großmutter fand, man solle Namen nicht verunstalten,
außer daß sie niemals John zu mir sagte; für sie war ich immer Johnny, selbst
als mich alle anderen längst nur noch John nannten. Für alle anderen war meine
Mutter Tabby. Ich kann mich an ein einziges Mal erinnern, als Rev. Lewis
Merrill »Tabitha« sagte, doch das sagte er vor meiner Mutter und vor meiner Großmutter, und dieses eine Mal war der Anlaß ein Streit
oder zumindest eine Bitte. Es ging um die Entscheidung meiner Mutter, die
Kongregationalisten zu verlassen und zur Episkopalkirche überzutreten, und Rev.
Lewis Merill, der zu meiner Großmutter sprach, als wäre meine Mutter nicht
anwesend, sagte: »Tabitha Wheelwright hat die einzig engelsgleiche Stimme in
unserem Chor, und wir werden ein Chor ohne Seele sein, wenn sie uns verläßt.«
Ich muß zu Pastor Merrills Verteidigung hinzufügen, daß er sich nicht immer so geschwollen ausdrückte, doch zu diesem Zeitpunkt
hatte ihn die Ankündigung, daß meine Mutter und ich seine Kirche verlassen
wollten, so tief getroffen, daß er seine Meinung darlegte, als predige er von
der Kanzel.
    In meiner Kindheit war Tabitha in New Hampshire ein gängiger Name
für Hauskatzen, und eine gewisse Katzenhaftigkeit im Wesen meiner Mutter war
nicht zu leugnen – zwar war sie nicht gerissen und listig wie diese Tiere, doch
sie hatte die anderen Qualitäten, die man mit ihnen verbindet: das Saubere und
Geschmeidige, das Selbstbewußte und das Kuschelige. Auf eine ganz andere Art
als Owen Meany rief meine Mutter in anderen das Bedürfnis hervor, sie zu berühren;
ich bemerkte immer wieder, wie sehr die [60]  Leute
sie anfassen wollten, ja einfach nicht anders konnten. Ich meine jetzt nicht
nur Männer, obgleich ich – schon damals – mitbekam, wie die Hände der Männer in
ihrer

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