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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zu,
sie schien sie in ihren Schädel hineindrücken zu wollen.
    Hester hatte es bemerkt. Sie starrte ebenso unverwandt auf Mrs.
Merrill wie ich auf sie; ganz plötzlich machte sich auf Hesters hartem Gesicht
Schmerz breit – vielleicht der Schmerz einer plötzlichen Erinnerung –, und auch
sie hielt sich die Ohren zu. Doch mir spukte noch immer die Melodie des
Schlußliedes im Kopf herum; ich hörte nicht, was Mrs.   Merrill und Hester
hörten. Ich dachte, die beiden verhielten sich wirklich ungebührlich unhöflich
gegenüber Pastor Merrill, der gerade bei der Segnung sein Bestes gab – obwohl
er sich jetzt beeilte, und selbst der sonst so unerschütterliche Captain Wiggin
schüttelte den Kopf, als wolle er seine Ohren von Wasser oder einem unschönen
Ton befreien.
    »Der Herr segne sie und nehme sie in Gnaden auf«, sagte Lewis
Merrill. In dem Moment schaute ich Owen an. Seine Augen waren geschlossen, die
Lippen bewegten sich; er schien zu knurren, doch er summte; besser konnte er es
einfach nicht – und er summte dieses Lied; ich habe es ganz deutlich gehört,
das war keine Einbildung. Doch auch Owen hielt sich
die Ohren zu.
    Dann sah ich, wie Simon die Hände anhob; Noahs Hände waren schon
oben – und Onkel Alfred und Tante Martha: auch sie [194]  hielten
sich die Ohren zu. Selbst Lydia hatte die Hände auf die Ohren gelegt. Meine
Großmutter blickte finster drein, doch sie hob die Hände nicht; sie zwang sich,
zuzuhören, obwohl ich sehen konnte, daß sie das, was sie hörte, schmerzte – und
dann erst hörte auch ich es: Die Kinder auf dem
Sportplatz der High-School. Sie spielten Baseball. Wir hörten die üblichen
Rufe, und ab und zu kleine Streitereien, wobei die Stimmen alle auf einmal
lostönten; und dann wurde es still, oder zumindest ziemlich still, bis das
typische Knallen des Schlägers, der auf den Ball trifft, diese Stille
unterbrach. Es war ein recht kräftiger, klingender Schlag, und ich sah, wie
selbst das versteinerte Gesicht von Mr.   Meany, der seine Hände fest auf Owens
Schultern gelegt hatte, zuckte. Und Mr.   Merrill stotterte noch schlimmer als
sonst: »Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über ihr und sei ihr gnädig, der
Herr erhebe sein Angesicht auf sie und führe sie zum ewigen Frieden. Amen. «
    Sofort bückte er sich und nahm etwas Erde in die Hand; er war der
erste, der Erde auf den Sarg meiner Mutter warf, wo sie, das wußte ich, in
einem schwarzen Kleid lag – in dem, das sie nach dem roten Kleid, das sie nie
leiden konnte, genäht hatte. Die weiße Kopie, so hatte Dan gesagt, stand ihr
nicht so gut; ich denke, der Tod wird ihr den Teint verdorben haben. Man hatte
mir schon gesagt, daß es wegen der Schwellung an der Schläfe und dem Bluterguß
nicht ratsam gewesen sei, den Sarg offenzulassen – nicht, daß uns Wheelwrights
jemals viel an offenen Särgen gelegen hätte, egal, wie der Betreffende aussehen
mochte; Neuengländer haben geschlossene Türen überhaupt lieber.
    Einer nach dem anderen warfen die Trauernden nun Erde auf den Sarg;
danach war es nicht eben ratsam, sich wieder die Ohren zuzuhalten – Hester aber
tat es dennoch, ehe ihr das klar wurde. Mit ihrer schmutzigen Handfläche
beschmierte sie sich ein Ohr und eine Gesichtshälfte. Owen warf keine Erde auf
den Sarg; ich bemerkte auch, daß er die Hände nicht von den Ohren nahm. Er [195]  öffnete nicht einmal die Augen, und sein Vater
mußte ihn vom Friedhof führen. Zweimal hörte ich ihn sagen: » ES TUT MIR LEID !«
    Noch ein paarmal hörte ich das Krachen des Schlägers, ehe Dan
Needham mich in unser Haus in der Front Street brachte. Zu Hause fand sich dann
nur »der engste Familienkreis« ein. Tante Martha brachte mich in mein altes
Zimmer, und wir setzten uns auf mein altes Bett. Sie sagte, daß ich zu ihr und
Onkel Alfred und Noah und Simon und Hester ziehen könne, »hoch in den Norden«,
dort sei ich jederzeit willkommen; sie umarmte mich und gab mir einen Kuß und
meinte, ich solle niemals vergessen, daß ich auf dieses Angebot jederzeit
zurückkommen könne.
    Dann kam meine Großmutter herein; sie scheuchte Tante Martha weg und
setzte sich neben mich. Sie sagte, wenn ich nichts dagegen hätte, mit einer
alten Frau zu leben, könne ich jederzeit mein altes Zimmer wiederhaben – das
würde immer mein Zimmer bleiben, und niemand sonst habe ein Anrecht darauf.
Auch sie umarmte mich und gab mir einen Kuß; sie sagte, wir müßten jetzt beide
darauf achten, daß wir Dan genug Liebe und

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