Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
sich ein muskulöser Oberkörper ab. Er sprach mit einem osteuropäisch klingenden Akzent. Sie nickte kurz auf seine Frage, ob sie oft bei Condis trainiere. Das Nicken sollte ihm signalisieren, dass sie kein Interesse an einem Gespräch hatte. Doch er ließ sich nicht abschütteln, und sie traute sich nicht, ihm zu sagen, er solle verschwinden und sie in Ruhe ihre Sit-ups machen lassen. Sie schaffte zwanzig Wiederholungen mit einem Gewicht von fünfzehn Kilo – bei ihrem Trainingsbeginn im Spätsommer hatte sie mit fünf Kilo angefangen –, doch immer noch stand er da, das Handtuch über die Schulter geworfen, mit ovalen Schweißflecken über dem breiten Brustkorb und diesem Blick aus hellblauen, wässrigen Augen. Ein Pole, entschied sie; es half, ihn geographisch irgendwo einzuordnen.
    »Wie heißt du?«
    Sie blieb in der Maschine sitzen und keuchte. Sie ärgerte sich über diesen Kerl, der nicht begriff, dass sie kein Interesse hatte, der so dreist war, sie nach ihrem Namen zu fragen; und sie ärgerte sich vor allem über sich selbst, weil sie nicht wagte, ihm klipp und klar zu sagen, er solle sich zum Teufel scheren.
    »Rina«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen. Jetzt hatte er seine Antwort. Jetzt konnte sie aufstehen, sich ihr Handtuch schnappen und ihm den Rücken zukehren.
    »Schöner Name, Ri-na.«
    Die Art und Weise, wie er ihren Namen in die Länge zog, war lächerlich. Sie knautschte ihr Handtuch zusammen und eilte zum Ausgang, obwohl sie ihr Programm noch nicht beendet hatte. Während sie unter der Dusche stand, hatte sie immer noch seine nasale Stimme im Ohr, die ihren Namen sang: Ri-na, Ri-na.
    ◊
    Jetzt bin ich nahe dran.
    Vor bald einem Monat habe ich mich für die Methode entschieden. Sie ist elegant und schmerzvoll. Vor über einer Woche habe ich sie ausgewählt. Ich weiß alles, was ich von ihr wissen muss. Sie ist hübsch, hat klare, weibliche Rundungen, ist nicht allzu clever. Sie begibt sich nicht in Gesellschaft, sondern bleibt lieber für sich allein. Sie hat irgendwas an sich, das ihr den Kontakt zu anderen erschwert. Als strebe sie von ihnen fort oder werde gemieden, schwer zu sagen, wie so was anfängt. Ich selbst habe mich ebenfalls für ein Leben am Rande entschieden. Ebenso gut könnte ich mich unter Leute begeben, im Mittelpunkt stehen, mir Macht und Einfluss sichern. Doch ich habe mir dieses Leben selbst ausgesucht. Ich will mein eigener Herr sein, ohne kleinliche Rücksichten nehmen zu müssen. Ich brauche niemanden, das ist mein Wesen, selbstgenügsam, stolz, stark. Das Spiel, das sie in Gemeinschaft spielen, erfüllt mich mit tiefster Verachtung. Es ist schmerzhaft zu sehen, wie klein die Menschen sind, wenn sie sich von anderen steuern lassen. Ich stehe außerhalb, weil ich stark bin. Sie wird ausgestoßen, weil sie schwach ist. Das macht sie zur geeigneten Beute. Den Ort habe ich vor zwei Tagen entdeckt, er ist leicht zugänglich, aber doch so verborgen, dass wir ungestört sind, bis mein Werk vollbracht ist. Nur der Zeitpunkt steht noch aus. Falls sie nicht mitkommt, wenn ich auftauche, lasse ich sie gehen. Aber ich habe ihre Chancen korrigiert. Sagen wir, sie stehen jetzt bei
50/50
. Schlägt mein Plan fehl, denke ich mir einen neuen aus, fange noch mal von vorn an, mit einer anderen Person.
    Ein letztes Mal gehe ich alles durch. Der Ort, die Stille in dem großen, dunklen Raum, der weihnachtlich geschmückte Vorraum, ich führe sie durch den Mittelgang, eine nackte Braut, mit gefalteten Händen. Die Methode, die Violinsaite und der Altar, so rein, so still, so würdig. Die totale Aufgabe.
    Vor dem Spiegel verwandelt sich mein Körper. Aus einem bewunderten Gegenstand der Betrachtung wird ein Ort, an dem eine Entscheidung getroffen und eine Handlung vollzogen wird. Die Muskeln werden von einer unmerklichen Anspannung erfasst, die den Körper, wie eine vage Ahnung, der Vollkommenheit noch näher bringt. Nur der Fleck auf der Stirn, mein Zeichen, erinnert daran, dass auch ich einen Ursprung habe. Ich öffne den Kleiderschrank, nehme die Uniform heraus. Das Hemd ist frisch gewaschen und gebügelt und riecht nach Weichspüler. Die kurze Jacke lässt meine Schultern noch breiter wirken. Ich weiß, wo sie ist. Heute Abend soll es geschehen. Jetzt bin ich nah dran.
    ◊
    Was vom Himmel fiel, als sie auf den Bürgersteig trat, war eine Mischung aus Regen und Schnee. Als könne sich jemand da oben nicht richtig entscheiden. Ein Grad mehr, und es würde regnen. Sie hasste Regen. Ein

Weitere Kostenlose Bücher