P., Thomas
gehofft hatte — kamen in diesen Tagen und Wochen nicht zu Besuch. Als
hätte ich gar nicht existiert. Oder als wäre ich im Urlaub gewesen und hätte an
einem Strand in der Südsee gelegen... Nichts! Keiner rief an, keiner fragte,
wie es mir ging, wie ich mich fühlte — nichts. Ich war allein gelassen, als
hätte mich keiner gekannt und, noch schlimmer: Als hätte mich keiner von denen
gemocht!
Die ganze Sache machte mich sehr nachdenklich. Bis dahin
hatte ich gedacht, wir seien ein verschworener Haufen, bei dem der eine für
den anderen einstand und bei dem man sich half, wann immer es nötig gewesen
wäre. Ich hatte gedacht, unser aller Verhältnis sei innig, gut und
kameradschaftlich. Umso brutaler war dann die Erkenntnis, dass ich mich in all
dem ganz offensichtlich getäuscht hatte. Einer für alle - jeder für sich, das
war wohl der wahrhaftige Leitspruch. Ich war Fullmember im größten Motorradclub
Deutschlands und dennoch wieder alleine. Irgendwas konnte da nicht stimmen.
Meine Gedanken ließen mich natürlich auch nicht mehr los,
als ich wieder draußen war. Ich hatte den Weg in den Club gesucht, um
Freundschaften zu schließen, um eine Gemeinschaft zu finden, auf die ich bauen
konnte. Ja, ich hatte immer diese Ersatzfamilie gesucht, denn seine Freunde
konnte man sich schließlich aussuchen. Dass ich meine Familie — meine Mutter und
meine Halbgeschwister - vergessen konnte, war mir schon als Kind klar geworden.
Aber dass nun auch diese Gemeinschaft, die ich mir selbst ausgesucht hatte und
für die ich meine Gesundheit und noch weit mehr gegeben hätte, eine totale
Enttäuschung war, das musste ich erst einmal verarbeiten.
Natürlich kamen auch ganz andere Gedanken hoch: War ich
vielleicht einfach nur ein blödes Arschloch, das keiner leiden konnte? War ich
nicht gesellschaftsfähig? Nicht in der Lage, in einer Gemeinschaft zu leben,
in der ich auch etwas zurückbekam? Auch diese Fragen stellte ich mir zu jener
Zeit, und ich fand keine Antworten. Oder ich wollte sie ganz einfach nicht
finden ...
Als ich die Klinik verlassen konnte und mit den
Reha-Maßnahmen begann, konnte ich schon bald wieder Sport treiben. Und das
verscheuchte immerhin die schlimmsten Gedanken. Einstweilen. Aber der
grundsätzliche Entschluss blieb doch haften: Mit diesen Leuten musste ich mich
nicht länger freiwillig umgeben!
Ich nahm mir eine Auszeit von dem Club, um in Ruhe darüber
nachzudenken, was ich künftig von meinem Leben noch erwartete. Meine Clubjacke
hatte ich nicht abgegeben, denn das wäre das endgültige Symbol für den Austritt
gewesen. Aber ich zog die Klamotten auch nicht wieder an. An gemeinsamen
Ausfahrten und Meetings nahm ich nur noch pflichtgemäß und in meiner Funktion
als Security Chief teil und nicht mehr, weil ich diese Gemeinschaft schätzte
oder weil es mir noch Spaß gemacht hätte. Pflichtbewusst war ich also auch noch
in meiner Zurückgezogenheit. Denn eines war klar: Das Clubleben sollte unter
meinem »geistigen Sabbatical« nicht leiden müssen.
Und ich wollte ja weiterhin in einem Motorradclub sein.
Ich hatte mein geistiges Ideal der (ausgewählten) Familie, in der jeder für den
anderen einstand und man sich blind auf den Clubpartner verlassen konnte, noch
nicht aufgegeben. So war es irgendwann nur folgerichtig, dass ich mich nach
einer neuen Familie umsah. Und vom Gremium MC weg gab es eigentlich nur einen
logischen Schritt: die sagenumwobenen Hells Angels. Gleichsam die Green
Barrets - die Eliteeinheit unter den großen MCs weltweit. Das zumindest nahm
ich damals an.
Ich nahm mit dem Präsidenten des Charter West Side in
Bremen Kontakt auf. Ihn kannte ich von diversen Biker-Treffen. Zwar nur
oberflächlich, aber er meinte, ich solle einfach mal zu einem offenen Abend zu
den 8lern kommen, und dann würde man ja weitersehen. Da die Strukturen in fast
allen größeren Clubs ähnlich gestrickt waren, konnte ich mir schon in etwa
ausmalen, wie die Sache weitergehen könnte: Da gab es ein Clubhaus mit einem
für jeden zugänglichen offenen Bereich. Und dazu einen Member-Bereich hinter
verschlossenen Türen, der sich paradiesgleich öffnete, sobald man zum Mitglied
geworden war. Der Weg dahin war vermutlich ein steiniger - das war mir zu
jener Zeit auch klar. Und ich musste für mich entscheiden, ob ich noch ein
weiteres Mal die klassische Evolutionsgeschichte eines Members durchlaufen
wollte: Supporter, Hangaround, Prospect...
Für meine erste Kontaktaufnahme schien mir ein Besuch
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