P., Thomas
Rücken. Es ging nicht
mehr darum, andere Clubs zu schlucken, sondern nebeneinander zu existieren.
Ich fand also endlich all die Dinge, die ich mir von einem
Motorradclub so vorgestellt hatte. Zusammen feiern, weil man Spaß hatte, und
nicht etwa, weil es Pflicht war. Gemeinsame Ausfahrten auf dem Motorrad.
Spalierfahrten bei Hochzeiten - all das hatte es zuvor nie gegeben, schon
allein weil uns von Gremium MC Chapter Jever nie jemand eingeladen hatte. Man
war lange Zeit wie ausgestoßen, und nun waren wir plötzlich mit an Bord.
Zudem hatten wir immer die Manpower des Gremium MC, des
größten Clubs in Europa, im Rücken. Und das hieß für uns und diejenigen, denen
wir gewogen waren, dass - wann immer es Probleme gab - ein Anruf genügte und
sofort bis zu 500 Biker aufliefen, die zu vielem, wenn nicht sogar zu allem
bereit waren. Und dabei zusätzlich auch noch die kleineren Clubs auf seiner
Seite zu haben war zumindest aus der Sicht von Gremium durchaus nützlich.
Der Gremium MC war ein Einprozenter-Club. l%er - das
bedeutete mehr oder weniger gewaltbereit. Solche Clubs - zu denen auch die
Bandidos und die Hells Angels gehörten - trugen ein Patch an ihrer Jacke mit
der Aufschrift »1%«. Diese Bezeichnung ging zurück auf Vorfälle im
kalifornischen Städtchen Hollister im Juli 1947, die später als »Hollister
Bash« bekannt und berüchtigt geworden waren. Während eines Rockertreffens kam
es zu heftigen Schlägereien mit der Polizei. Die Bevölkerung reagierte
entsprechend entrüstet und stand den Bikern und Rockern fortan sehr negativ
gegenüber. Die American Motorcycle Association (AMA) hatte damals versucht,
etwas Wind aus dem aufziehenden Sturm zu nehmen, indem sie behauptete, dass
höchstens ein Prozent aller Biker gewaltbereit sei. Seither brüsteten sich
viele damit, zu jenem einen Prozent zu gehören.
Mir gefiel das natürlich. Ich war letztlich schon auf der
Schule ein Onepercenter gewesen, freilich ohne es zu wissen. Einprozenter hieß
nicht, dass man kriminell sein musste. Es bedeutete letztlich nur, dass man
gerade war und sich und seine Leute verteidigte. Im Zweifel mit allen Mitteln
und auch mit allen Konsequenzen. Ein Onepercenter zu sein hieß, ehrlich und
aufrichtig zu sein. Leider waren das nur die wenigsten...
7. Der Hangaround Forever Angel,
Angel Forever?
1.
Und dann kam ein Moment, der alles auf den Kopf stellte
und mich jäh aus meiner Selbstzufriedenheit bei Gremium herausriss. Es war
schon merkwürdig, dass es erst gewisser Situationen bedurfte, die einen
veranlassten, grundsätzlich über alles nachzudenken. Plötzlich stand man vor
einer Erkenntnis, die alles bisher Dagewesene infrage stellte.
Selbstverständlichkeiten, Beziehungen, Gegebenheiten - Freundschaften, die man
bis dahin nie angezweifelt hätte, erschienen plötzlich in einem ganz anderen
Licht. Und man war mit einem Mal bereit, sein Leben von einem Moment auf den
anderen tief greifend zu ändern. Aber für so einen Perspektivwechsel brauchte
es manchmal einen kräftigen Tritt, der einem von dem offenkundig falschen Weg,
den man da entlangraste, abbringen konnte. Und dieser Tritt kann mitunter recht
unsanft sein.
Im Februar 2005 musste ich schwer verletzt ins
Krankenhaus. Ich hatte - sagen wir - eine Auseinandersetzung gehabt und musste
eine kleine Auszeit im Krankenbett nehmen. Was da genau passiert war, ist im
Grunde unwichtig - jedenfalls lag ich für drei Wochen in einem Zimmer, Tag für
Tag, Nacht für Nacht, und bemerkte irgendwann, wie alleine ich mich doch wieder
fühlte. Denn besucht haben mich in all der Zeit eigentlich nur meine Frau und
mein kleiner Junge. Klaus, der Präsident des Gremium MC Chapter Aurich, mein
Freund, mit dem ich so viele Dinge erlebt, erkämpft und bestanden - und nicht
zuletzt auch das neue Chapter gegründet - hatte, kam genau einmal an mein
Krankenbett. Und dabei sah ich wohl derart vital oder glücklich aus, dass er
hätte denken können, ich brauchte keinen weiteren Beistand.
Und dieser eine Besuch war zu allem Überfluss auch noch
eine Farce. Vielleicht waren es zwei oder auch drei Minuten, die er da an
meiner Seite stand, ein wenig Small Talk inszenierte und mich ein bisschen
bedauerte. Aber seine Gestik und seine Miene sagten - wenn man genauer
hinschaute - eigentlich nur: »Lieber Gott, wie komme ich hier schnell wieder
raus?« Und dann schlich er sich auch schon davon — und kam nicht wieder.
Auch die anderen Jungs - meine Brüder, meine neue Familie,
wie ich
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