Paarweise
natürlich nicht gemeint, es zeigt zwar ihre verständliche Aggression ihm gegenüber, wäre aber nur vordergründig und nicht zielführend. Sie verstand, dass auf Dauer keine Reifung bei ihm erreicht würde, wenn sie seine infantilen Bedürfnisse auf der Symptom-Ebene bediente.
Die starke Liebe zueinander, ihre Geduld und Gesprächsbereitschaft sowie das Bemühen, die Ehe zu retten, führten dazu, dass das Paar wieder zueinander fand.
Er vermutete, dass er mit einer ganzen Beziehung auf Dauer glücklicher würde als mit zwei unvollständigen, und beendete im ersten Schritt die Außenbeziehung. Seine erwachsene Seite hatte erkannt, wie unfair es seiner eher sparsamen Ehefrau gegenüber war, wenn er der Freundin einfach Geld überwies, nur weil sie vorgab, es dringend zu brauchen.
Dieser erste Schritt hatte seine Frau wiederum ermutigt, ihm zu helfen. Selbst wenn die Hilfe darin bestand, nichts Bestimmtes zu tun oder zu sagen, was diese Thematik betraf. Er erkannte von Tag zu Tag mehr, worum es ihm und auch beiden gleichermaßen ging. Er richtete seine Kreativität und Fantasie immer mehr auf ihre gemeinsame Zukunft aus, sie bediente hin und wieder seine Lust am Helfen und Retten, lobte und liebte ihn dafür. Ich konnte beobachten, wie er zunehmend an Souveränität gewann. Sogar seine Stimme wurde kräftiger. Auf seine eher schlechte Körperhaltung hatte ich ihn schon hingewiesen; er achtete konsequent darauf, eine aufrechtere, stolzere Haltung einzunehmen, um sie habituell als neues Identitäts-Symbol zu etablieren.
Beide waren am Ende froh darüber, vieles erkannt zu haben. Und froh, dass der Erkenntnis-Umweg relativ wenig Scherben mit sich gebracht hatte. Natürlich hat das Abenteuer Schmerz und Scham, Traurigkeit und Geld gekostet. Aber das Paar hatte eine völlig neue Ebene von Partnerschaft erschlossen, für die beide, insbesondere er, ein ganzes Stück persönlich gereift waren.
Zur Position der Freiheit
Man fragt sich, warum der Mensch die heutigen Möglichkeiten der Freiheit nicht mehr genießt. Partnerschaft so frei und glücklich zu leben, wie es noch nie der Fall war. »Werde, der Du bist«, hatte Nietzsche einst gefordert. In der Beziehung wäre der Freiraum dafür heute gegeben. Ja, wir sind sogar »zur Freiheit verurteilt«, beklagte einst Sartre, wo er die Eigenverantwortung mehr als Belastung denn als Glücksquelle sah. Das ist aktuell auch der Gedanke des französischen Soziologen Ehrenberg, der darin sogar die Ursache für partnerschaftsbelastende Depression in der heutigen Zeit sieht: »Die Depression zeigt uns die aktuelle Erfahrung der Person, denn sie ist die Krankheit einer Gesellschaft, deren Verhaltensnormen nicht mehr auf Schuld und Disziplin gründen, sondern auf Verantwortung und Initiative.« Die Folge sei eine »Erschöpfung davon, man selbst zu sein«(Ehrenberg 2008). An anderer Stelle schreibt er in seinem Buch »Das erschöpfte Selbst«: »Die Depression ist ein Laboratorium für die Ambivalenz einer Gesellschaft, in der der Massenmensch sein eigener Souverän sein
soll.« Nun, er darf es sein. Er ist Anfänger in dieser Disziplin, also darf er auch die Fehler machen, die zur Anfänger- und Pionier-Position dazugehören. Vielleicht ist dann die Depression − meist ein temporäres, also zeitlich begrenztes Phänomen, wodurch der Mensch gezwungen ist, die Zeit zu nutzen, nach innen zu schauen, aufzuräumen, zu reifen – als Wachstumsschmerz zu betrachten, der zum Erklimmen einer reiferen Lebensstufe erforderlich war?
Der Rahmen für eine gemeinsame Vision
Die drei essentiellen Elemente einer dynamischen Struktur von Partnerschaft sind: die Gemeinsamkeit, die äußeren Klammern und die Vision.
Kommen wir zum ersten Element, zur Gemeinsamkeit. Dass ein Paar zusammengehört, manifestieren die zwei zueinander.
Das Drei-Kontenmodell veranschaulicht das Gemeinsame eines Paares.
Durch die Verbindung der obigen Kreise entsteht eine Schnittmenge. Dieser Bereich steht für das Gemeinsame, das die zwei Einzelwesen, die ein Paar sind, erzeugen. Das ist das gemeinschaftliche Konto, das sozusagen als »Haushaltskonto« geführt wird. Doch es geht bei dem Bild bei weitem nicht nur um eine finanzielle Verteilung, sondern auch um die Verteilung der Zeit, die dem Paar zur Verfügung steht. Oder um die Interessen, die mal allein und mal gemeinsam gelebt werden. Der Bereich kann zudem für geteilte Emotionen und gemeinsame Werte oder für verbindende Aktivitäten u. v. m. stehen.
Übrig
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