Pacific Paradise - Boone Daniels 2
K.o.
Das warf die »Kampfkunstszene« völlig aus der Bahn. All die Jungs, die ständig in den Dojo rannten, um dieultimativen Selbstverteidigungstechniken zu lernen, mussten sich plötzlich fragen: Bringt’s das überhaupt? Musste man sich wirklich andauernd verbeugen, meditieren, atmen, diesen importierten esoterischen Kram lernen und sich dabei in dem Fummel mit den bunten Gürteln wie ein Idiot vorkommen, oder stünde man am Ende doch besser da, wenn man einfach einem der alten Boxvereine beitrat und sich beibringen ließ, wie man einen anständigen rechten Cross platziert, der für John Wayne schließlich auch gut genug gewesen war.
Den Kampfsportschulen standen magere Zeiten ins Haus, weil man jetzt allgemein der Ansicht war, Kampfkunst sei zwar super, weil Kinder dort ›Disziplin‹ lernten und Frauen einen schönen Po bekamen, aber im Prinzip nutzlos, wenn man an einer Straßenschlägerei teilnehmen oder sich gegen einen klassischen Überfall auf einem dunklen gottverlassenen Parkplatz verteidigen wollte, reiner Stil mit nichts dahinter. Man dachte, toll, wenn es einem gelang, einen ordentlichen Tritt zu landen, aber kam der Angreifer erst mal näher und packte zu, konnte einem keine asiatische Kampfkunst mehr helfen.
Wer in den neunziger Jahren eine Kampfsportschule betrat, bekam in der Regel jede Menge Kinder zu sehen, die auf und ab hüpften, in die Luft kickten und eintönigen Singsang anstimmten. Die Lehrer waren im Prinzip Babysitter und der Dojo wurde zum Kinderhort der Doppelverdiener. Genau dasselbe, wie mit dem europäischen Fußball – gut für Kinder, schwachsinnig für Erwachsene.
Bei einem echten Kampf würde immer der Größere gewinnen.
Von nun an bestimmten atavistische ›Käfigkämpfe‹ die professionelle Kampfsportszene, das heißt, zwei übergroße Kampfmaschinen prügelten sich gegenseitig so lange die Scheiße aus dem Leib bis einer von beiden umfiel. Das war blutig, brutal und so dermaßen beliebt, dass es gleich inmehreren Staaten verboten wurde. Wahre Kampfkünstler mussten entsetzt zusehen, wie sich das Zentrum ihrer Sportart immer mehr weg von der West Coast in den tiefsten Süden verlagerte und Typen mit Namen wie »Butterball« zu gefeierten Champions und Volkshelden wurden.
Aber die »Kunst« war aus der Kampfkunst verschwunden.
Die Rettung kam nicht aus Asien, sondern aus ganz unvermuteter Richtung.
Brasilien.
Auftritt der Gracies.
Folgendes passierte: Der japanische Meister und mehr oder weniger Erfinder des Judo war es leid, dass seine Landsleute Judo für Sport und nicht für echte Kampfkunst hielten. Ein Prophet wird überall geschätzt, nur nicht im eigenen Land. Aber egal, er schickte eine Gruppe von Anhängern los, die die Kunde in die Welt hinaus tragen sollten. Einen von ihnen, einen Typen namens Maeda, verschlug es nach Brasilien, wo er sich mit zwei Brüdern zusammentat, den Teenagern Carlos und Helios Gracie.
Die Gracies verwandelten Judo in das, was später als brasilianisches Jiu-Jitsu bekannt wurde. Im Prinzip wurde der Kampf damit auf den Boden verlagert. Die Gracies legten sich ihre Gegner auf die Matte und rollten so lange mit ihnen herum, bis es ihnen gelang, sie in komplizierte, verschlungene Klammer-, Hebel- und Würgegriffe zu nehmen, das Ganze war eine Frage der Technik.
Damit war die Kunst in den Kampfsport zurückgekehrt.
In den 90er Jahren nahm Helios’ Sohn Royce eine Einladung seines älteren Bruders an, nach Kalifornien zu ziehen und ihm beim Unterrichten seiner Kunst zu helfen. Nach alter kalifornischer Tradition fingen sie in einer Garage an (siehe auch Hobart »Hobie« Alter).
Aber so richtig ging es erst los, als die Familie die »GracieChallenge« erfand. Die Gracies boten jedem 100 000 Dollar, dem es gelang, den eher schmächtig gebauten, 80 Kilo schweren Royce umzuhauen. Niemand schaffte es. Er schlug jeden, ging mit seinen Gegnern zu Boden, packte sie an Armen oder Fußgelenken, schnürte ihnen die Kehle bis zur Bewusstlosigkeit zu und zwang sie aufzugeben.
Das war die Geburtsstunde der UFC, der Ultimate Fighting Championship.
Und wieder lebte die alte Diskussion auf, welche Kampfsportart überlegen war? Die Gracies organisierten Wettkämpfe im K.-o.-System und luden Boxer, Kickboxer, Thaiboxer, Wrestler und sogar die Neandertaler aus den Käfigen ein.
Royce schlug sie alle.
Im Fernsehen.
Jetzt zeigte sich, dass man doch nicht machtlos war, wenn einen ein drei Tonnen schwerer Gorilla am Wickel hatte – die Lösung
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