Paganinis Fluch - Kepler, L: Paganinis Fluch - Paganinikontraktet
Tremolo-Abschnitt aus einem der Stücke Béla Bartóks, die auf dessen Ungarnreise entstanden sind. Axel hat ihn immer gemocht. Bartók war ein erklärter Gegner des Nationalsozialismus und musste seinLand verlassen. Als Komponist war er ein Grübler, dem es manchmal gelang, kurze Augenblicke des Glücks zu vermitteln. Eine Art wehmütige Volksmusik inmitten all der Trümmer nach einer Katastrophe, denkt Axel, während Robert sein Spiel beendet.
»Sie klingt ziemlich gut«, sagt Axel. »Aber du musst den Stimmstock vorschieben, denn es gibt da eine kleine Stummheit, die …«
Das Gesicht seines Bruders wird sofort verschlossen.
»Daniel Strosser hat gesagt, dass … er will genau diesen Klang haben«, erklärt er. »Er möchte, dass die Geige klingt wie die junge Birgit Nilsson.«
»Dann solltest du den Stimmstock auf jeden Fall vorschieben«, erwidert Axel lächelnd.
»Davon hast du keine Ahnung, ich wollte nur …«
»Ansonsten ist sie ganz wunderbar«, sagt Axel schnell.
»Du hörst doch den Klang – trocken und scharf und …«
»Ich habe nichts Abfälliges über die Geige gesagt«, fährt Axel ungerührt fort. »Ich sage nur, dass es einen Kern in ihrem Klang gibt, der nicht lebt und der …«
»Lebt? Dieses Instrument ist für einen Bartók-Kenner«, fällt Robert ihm ins Wort. »Wir sprechen hier von Bartók – das ist was anderes als Bowie.«
»Vielleicht habe ich mich ja auch nur verhört«, sagt Axel leise.
Robert öffnet den Mund, um ihm zu antworten, hält jedoch inne, als er seine Frau Anette an die Tür klopfen hört.
Sie lächelt, als sie ihn mit der Geige sieht.
»Du hast deine Strosser ausprobiert?«, fragt sie erwartungsvoll.
»Ja«, antwortet Robert schroff, »aber Axel gefällt sie nicht.«
»Das stimmt nicht«, widerspricht Axel. »Ich bin mir ganz sicher, dass dein Kunde mehr als zufrieden sein wird. Wovon ich eben gesprochen habe, existiert vielleicht nur in meiner Einbildung, die …«
»Hör nicht auf ihn, er hat doch keine Ahnung«, unterbricht Anette ihn gereizt.
Robert will gehen, seine Frau mitnehmen, eine Szene verhindern, aber sie tritt zu Axel.
»Gib zu, dass du dir den Fehler nur ausgedacht hast«, sagt sie.
»Es ist kein Fehler, es geht nur um den Stimmstock, der …«
»Und wann hast du das letzte Mal gespielt? Vor dreißig, vierzig Jahren? Du warst damals doch nur ein Kind. Ich finde, du solltest dich entschuldigen.«
»Lass es gut sein«, sagt Robert.
»Entschuldige dich.«
»Okay, Entschuldigung«, sagt Axel und merkt, dass er rot wird.
»Dafür, dass du gelogen hast«, fährt sie fort. »Dafür, dass du gelogen hast, weil du Robert nicht das Lob gönnst, das seine neue Geige verdient hat.«
»Dafür entschuldige ich mich.«
Axel stellt seine Musik wieder an und dreht sie ziemlich laut. Anfangs klingt es, als würde auf zwei ungestimmten Gitarren geklimpert und ein Sänger mit schwacher Stimme nach dem richtigen Ton suchen: »Goodbye love, goodbye love …«
Anette murmelt etwas über Axels fehlendes Talent, und Robert befiehlt ihr aufzuhören und zieht sie aus dem Raum. Axel stellt die Musik noch etwas lauter, und das Schlagzeug und der Bass bringen die in sich gekehrte Musik auf den richtigen Kurs: »Didn’t know what time it was, the lights were low ohoh. I leaned back on my radio oh oh.«
Axel schließt die Augen und spürt sie in der Dunkelheit brennen. Er ist bereits sehr müde. Manchmal schläft er eine halbe Stunde, manchmal macht er selbst mit Beverly neben sich kein Auge zu. Dann hüllt er sich in eine Decke, setzt sich auf die verglaste Veranda und blickt im feuchten Licht des Morgengrauens auf die Bäume des schönen Gartens hinaus. Axel Riessen ahntnatürlich, was der Grund für seine Probleme ist. Er schließt die Augen und kehrt in Gedanken zu jenen Tagen zurück, die sein Leben veränderten.
54
Das Quiz
Penelope und Björn sehen sich mit müden, ernsten Augen an. Durch die geschlossene Tür hören sie Ossian Wallenberg wie Zarah Leander »Wenn der weiße Flieder wieder blüht« singen, während er die Möbel umstellt.
»Wir könnten ihn überwältigen«, flüstert Penelope.
»Vielleicht.«
»Wir müssen es versuchen.«
»Und dann, was machen wir dann? Sollen wir ihn etwa foltern, um an den PIN zu kommen?«
»Ich denke, wenn sich die Machtverhältnisse geändert haben, wird er ihn uns geben«, erwidert Penelope.
»Und wenn er das nicht tut?«
Als sie zum Fenster geht und versucht, die Haken zu lösen, taumelt sie vor
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