Pakt der Könige
einundzwanzig Jahren kein ganzes Glas Alkohol mehr getrunken. Im Handumdrehen hatte er Jahre der fast völligen Abstinenz durchbrochen - und das ohne bewusste Entscheidung, ohne nachzudenken, ohne es überhaupt zu bemerken.
Einfach nur, weil er in derselben Gegend war.
Die alte Frau vom Vorabend brachte ihm eine Schale mit Früchten und fing dann ein Gespräch mit ihm an; ihre Versuche, liebenswürdig zu sein, waren sicher der Anwesenheit der adligen Familie am Nebentisch geschuldet. Sie schlug Arekh sogar vor, ihren Enkel - den Jugendlichen, der beim Bedienen half - ein frisches Pferd von der Poststation holen zu lassen: »Natürlich nur, wenn Ihr eines benötigt. Wenn der Herr morgen wieder aufbricht, meine ich, obwohl wir natürlich entzückt wären, den Herrn noch länger zu beherbergen …«
Arekh nahm das Angebot an. Die Stute war nie sonderlich kräftig gewesen, und es wurde immer schlimmer mit ihr. Ein neues Pferd war ihm wirklich sehr willkommen.
Die alte Frau steckte die Geldstücke ein, die er ihr hinhielt, und fragte ihn nach seinem Namen.
Arekh musterte sie kurz.
Dann antwortete er.
»Arekh es Morales von Miras«, verkündete er lächelnd.
Seine Stimme hallte zwischen den Holzwänden des Gasthauses wider, und Schweigen senkte sich über den Raum.
Arekh rührte sich nicht und lächelte weiter. Er wusste, was geschehen war. Er hatte miterlebt, wie andere Männer ohne Grund, aus reiner Unvernunft, das Schicksal herausgefordert hatten, aus einem Anflug von Torheit heraus, den die Trunkenheit verursacht hatte. Ein Phänomen, das die Priester als »Tanz mit dem Tod« bezeichneten. Wie die Lâ-Priesterinnen sagten, die sich um die Benachteiligten in Reynes kümmerten, war das der Ruf der Abgründe, der durch den Alkohol oder die Tränke, die göttliche Trance hervorriefen, geweckt wurde, ein Ruf, der die, in denen er erwachte, dazu trieb, in einer Schenke Krieger herauszufordern, die zehnmal stärker waren als sie selbst, oder sich auf dumme, tödliche Wetten einzulassen.
Genau das hatte Arekh getan: Lâs Vögel nur zum Vergnügen herausgefordert, angetrieben vom Wein und den düsteren Gedanken, die sich in den verdrängten Wassern seiner Seele regten.
Die Atmosphäre war eisig geworden. Nur diejenigen, die mit Sicherheit nicht aus der Gegend stammten - drei Händler und eine der beiden jungen Adligen -, sprachen mit gesenkter Stimme weiter.
Die alte Frau blickte Arekh entsetzt an. An ihrer Seite war ihre Schwester zur Salzsäule erstarrt; sie hielt einen Keramikkrug und mehrere Schalen auf ihrem Tablett nur mühsam im Gleichgewicht. Die beiden Bauern, die nahe bei der Tür geschwatzt hatten, starrten Arekh verblüfft an. Ein Priester mittleren Alters, der Arekh zuvor gar nicht aufgefallen war, hob den Kopf von der Schale, über die er sich zuvor gebeugt hatte, und sah sich im Kreis um.
Das melodische Geplauder der jungen Frau am Nebentisch erstarb, als sie bemerkte, dass niemand ihr mehr
zuhörte. Ihr eleganter Begleiter, der mit dem Rücken zu Arekh saß, war stocksteif geworden.
Dann drehte er sich langsam um. »Arekh es Morales von Miras«, wiederholte er und betonte jede Silbe.
Jetzt schwiegen sogar die Händler. Alle Blicke richteten sich auf die beiden Tische.
Arekh lächelte noch breiter und bleckte die Zähne. »Zu Euren Diensten.«
»Interessant. Ihr wisst das vielleicht nicht, aber der älteste überlebende Sohn der Familie, die auf Miras gelebt hat, hieß auch Arekh.«
»Wirklich?«, fragte Arekh, ohne mit der Wimper zu zucken.
Die kleine Sklavin lauschte aufmerksam jedem Satz; ihre großen, erstaunten Augen versuchten, den Gesichtsausdruck eines jeden zu analysieren. Am Nebentisch taten die beiden jungen Frauen besorgt das Gleiche.
»Wisst Ihr, was jener Mann meiner ältesten Schwester angetan hat?«, fragte der junge Adlige, indem er aufstand und sein Schwert zog.
»Keine Ahnung. Aber erzählt nur …«
»Meine Schwester hieß Alyssa«, sagte der junge Mann langsam. »Sie war neunzehn Jahre alt und sollte bald heiraten. Sie führte in dieser abgelegenen Provinz ein recht zurückgezogenes Leben. Deshalb dachten meine Eltern, es würde gut sein, wenn sie ein bisschen aus dem Haus käme und Leute treffen könnte, um sich an ihr künftiges Leben als Gattin und Burgherrin zu gewöhnen. Also nahmen sie sie zu einem Abendessen auf der Nachbarburg mit, die der Familie Morales gehörte. Es war der Geburtstag ihres ältesten Sohnes - eines seltsamen Jungen von siebzehn Jahren, der den
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