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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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schnappen,
verlangt um Liebe immerfort zu ringen.
 
Erst Feindes Schliche kenn’n, ihn dann ertappen:
Mit diesem Plan kann Freunden doch gelingen,
das Netz von Ichsucht, Stolz und Neid zu kappen.

 
    Die Offenheit lässt den Verschwörer weichen, weil er seine hinterlistigen Machenschaften nur in einem Klima des Misstrauens und der Geheimniskrämerei erfolgreich betreiben kann. Die Altarinschrift ist doch das beste Beispiel dafür.« Giuseppe ging vor dem Altar in die Hocke und starrte das Wort »aufrichtigen« an, ließ sogar seine Fingerkuppen darüber gleiten. »Ich kann keinen Mechanismus erkennen…«
    Mit einem Mal fuhr er auf und lauschte. Aus der Ferne hallten leise Stimmen herüber. »Da kommt jemand!«
    Auch Pala hatte die Sprecher gehört. »Das sind die Kontrollgänger Zittos. Sie kommen alle halbe Stunde hier vorbei. Mach das Ding endlich auf, Giuseppe!«
    »Gerne, wenn du mir sagst, wie.«
    Jetzt konnten die beiden auch Schritte hören, die schnell näher kamen.
    »Ich glaube, sie haben uns entdeckt. Drück einfach die Silbe ›auf‹.«
    Giuseppe gehorchte. Mit dem Handballen drückte er gegen die aus dem Marmor ragenden Buchstaben. Einige schnelle Herzschläge lang geschah nichts. Nur die Schritte wurden lauter. Er bewegte die Hand hin und her, stemmte sich mit dem ganzen Körper gegen den porösen Stein und plötzlich, als sei ein Siegel gebrochen, verschwanden die Schriftzeichen knirschend im Stein.
    Aus dem Innern des Altars ertönte ein tiefes Rumpeln. Dann setzte sich die Deckplatte langsam in Bewegung. Nur ein leises Schaben war zu hören, als sie sich wie ein steinerner Uhrzeiger um eine Viertelstunde nach rechts drehte. Ein kühler feuchter Lufthauch stieg auf, begleitet von einem modrigen Geruch. Mit bangen Blicken sahen Pala und Giuseppe zur breiten Pforte der Basilika hin. Sie standen hier wie auf dem Präsentierteller. Wenn die Wachen sie entdeckten, würden sie einiges zu erklären haben.
    »Geht denn das nicht schneller?«, stöhnte Giuseppe leise.
    »Da sind Treppen!«, hauchte Pala, als der Deckel knirschend zum Stehen kam. Die Platte bildete jetzt, längs zum Kirchenschiff verharrend, einen rechten Winkel mit dem Altar. Das Einstiegsloch war quadratisch.
    »Schnell hinein!«, drängte Giuseppe. »Sie müssen jeden Moment hier sein.«
    Pala schwang sich, mit beiden Händen auf den Rand des steinernen Kastens gestützt, in den offenen Altar. Schnell eilte sie die Stufen hinab, während über ihr schon Giuseppe in den Einstieg kletterte. Sein Körper glich vor dem Hintergrund der Milchstraße einem schwarzen Scherenschnitt. Plötzlich strauchelte Pala.
    Ihre nach Halt suchenden Hände flogen durch die Finsternis. Sie sah sich schon mit gebrochenem Genick am Fuß der Treppe liegen, als sie doch noch etwas zu fassen bekam: kühl, fest, metallisch. Ein Geländer! Von diesem hoffnungsvollen Gedanken durchblitzt, vertraute sie ihr ganzes Gewicht der vermeintlichen Stütze an und wurde erneut enttäuscht. Das trügerische Ding gab nach.
    Mit dem nun schon bekannten Schaben schloss sich die Klappe über ihr.
    »Gratuliere! Du musst den Hebel erwischt haben, der den Deckel in seine Ausgangsposition zurückschwingen lässt«, raunte Giuseppe erleichtert. Er lauschte. »Pala? Geht es dir gut?«
    Von weit unten konnte er ein leises Plätschern vernehmen, aber das Mädchen muckste nicht. »Pala!«
    Endlich stiegen Lebenszeichen aus der Finsternis herauf. Es begann mit Stöhnen und Ächzen und dann folgte eine nörgelnde Beschwerde. »Morgen früh werde ich wieder aussehen wie ein alter Kleiderständer.«
    »Wie bitte?«
    »Ich bin an der Wand entlanggeschrammt und habe mir…«
    »Still, Pala! Da oben kommt jemand.«
    Sie hielt den Atem an. Hatten die Kontrollgänger sie schon entdeckt? Ferne Stimmen trieben durch die Dunkelheit, dumpf und unverständlich, aber langsam lauter werdend. Offenbar näherten sie sich dem Altar…
    »Aber da war doch ein Geräusch!« Diese erste Äußerung, die einigermaßen deutlich zu dem Paar unter dem Marmordeckel hinabtönte, klang alles andere als beruhigend. Da war jemand unzufrieden, weil das, was er sah, nicht zu dem passte, was er gehört hatte.
    »Ach, komm, Ottavio«, sagte eine andere Stimme mit hörbarem Unbehagen. »Du kennst doch dieses alte Gemäuer. Was hier herumgeistert, dürfte unserem Dienstherrn kaum gefährlich werden.«
    »Seit wann reden die Nachtschwärmer miteinander?«
    »Sie geben alle möglichen Geräusche von sich. Zwischen all den

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