Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte
– wurde dieser nass. Ein L huschte zwischen zwei Steinen hervor und floh zur Bachmitte hin. Ansonsten geschah nichts.
»Wir haben das Rätsel gelöst!«, jubilierte Pala.
»Alle Achtung!«, lobte Giuseppe. Schnell zog er sich die Schuhe aus und wagte ebenfalls den Wassergang. Auch er wurde nicht ertränkt. Pala hatte den Wildbach gezähmt.
Giuseppe ließ jenseits des Wasserlaufes seine Hände in verwirrenden Schlangenlinien durch die Luft gleiten und sagte: »Ich will einen Kamalken.«
Ein Mädchen, ein Wortklauber und zwei Antilowen sahen ihm interessiert zu. Flugtaugliche Wortschöpfungen wurden selbst in Zittos Reich nicht alle Tage ins Leben gerufen. Daran sollte auch der junge Geschichtenerzähler nichts ändern. Sein Scheitern trug denn auch weniger zur Enttäuschung als mehrheitlich zur Heiterkeit bei.
Pala verkniff sich ein breites Grinsen und sagte mitfühlend: »Unter Umständen klappt es ja, wenn du noch eine Weile übst.«
Tozzo war weniger rücksichtsvoll. Er plumpste zu Boden, weil er sich vor Lachen nicht länger in der Luft halten konnte. »Giuseppe ist ein Wortbastler, aber nie-nie-nie-nie ein Schöpfer. Nein, nein, das schafft er nicht. Schwesterlein kann es fein, doch Lästerschwein fällt nur herein…«
»Tozzo!«, ermahnte Pala den Wortklauber. »Das ist nicht nett.«
»Er ist auch nicht nett zu Tozzo.«
»Dann durchbrich du den Teufelskreis und hack nicht länger auf meinem Freund herum.«
»Na gut«, sagte Tozzo, schwirrte zu Giuseppe hinüber und reckte ihm fünf spindeldürre Finger entgegen. »Frieden, Großer?«
Giuseppe tauschte einen Blick mit Pala, die ihm aufmunternd zunickte. Er gestattete sich ein letztes Aufseufzen, dann nahm er vorsichtig Tozzos zerbrechliche Hand. »Frieden, Kleiner.«
»Prächtig!«, frohlockte der, schoss in die Höhe und sank mit einem nicht enden wollenden »Prima-prima-prima!« wieder langsam herab.
»Jetzt verrat mir aber wenigstens, warum Pala einen Antilopen-Löwen erschaffen kann, ich aber keinen Kamel-Falken«, bat Giuseppe.
»Das sagt Tozzo nicht.«
»Jetzt komm schon! Warum denn nicht?«
»Du wirst Tozzo schlagen, ihm das Genick brechen, Steine nach ihm werfen…«
»Ich beschütze dich«, unterbrach Pala den aufgeregten Kleinen.
Tozzo landete zwischen ihr und Giuseppe, blickte aus seinen großen Blinzelaugen scheu zu dem Geschichtenerzähler auf und sagte: »Weil du keine Phantasie hast…«
»Das ist doch…!« Giuseppes Mund blieb offen stehen.
Auch Pala wunderte sich. »Wie kannst du so etwas sagen, Tozzo? Er ist schließlich ein Geschichtenerzähler.«
»Aber sein Kamalke besitzt kein Leben«, erwiderte das kleine Scheusal. »Tozzo fühlt so etwas. Giuseppe mag ein großer Künstler im Umgang mit Worten und Geschichten sein: Er nimmt sie in sich auf, bastelt daraus scheinbar Neues und doch fehlt seinen Werken etwas, das du besitzt, Pala. Bei dir sind es Schöpfungen, keine zusammengeklebten Kunstwerke.«
Pala blickte verlegen in das traurige Gesicht ihres Freundes. »Ich finde das ungerecht. Von deinem Vater und von dir habe ich das Geschichtenerzählen doch gelernt…«
»Es ist schon gut«, unterbrach sie Giuseppe. »Tozzo sagt die Wahrheit. Genau darum ging es ja in dem Streit mit meinem Vater: Die vollkommenen Worte mussten, wie er glaubte, neu geschaffen werden, ich wollte das Bewährte nur veredeln.«
»Aber liegt die Wahrheit nicht in der Mitte? Mir erscheint es vernünftiger, immer wieder Neues am Erprobten zu messen und jeweils das Bessere zu behalten.«
Giuseppe fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Leider hat mir diese Einsicht damals gefehlt. Mein Herz war noch nicht reif, als ich mich mit Vater nicht drunterwarf, mich mit ihm zerstritt. Tozzo hat schon Recht: Um ein wirklich guter Erzähler zu werden, muss man massig mehr tun, als alte Sagen und Balladen nur spannend zu erzählen. Und genau daran mangelt es mir.«
»Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung«, schnurrte Tozzo.
Pala schüttelte den Kopf. »Trotzdem will mir nicht einleuchten, warum gerade ich diejenige sein soll, die Zitto mit seinen eigenen Waffen schlagen kann. Da muss es doch noch einen anderen Grund geben, Tozzo.«
»Wird es wohl, wird es wohl. Aber Tozzo ist dumm. Tozzilein weiß nicht…«
»Jetzt drückt er sich wieder«, knurrte Giuseppe.
»Er kann eben nicht über seinen Schatten springen«, verteidigte Pala den Kleinen. »Der Schwur, den er Zitto gegeben hat, bindet ihn.«
»Aber Zitto ist böse! Böse-böse-böse.
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