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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Er nutzt Tozzilein nur aus. Du musst ihn besiegen, Pala. Nur dir kann er…«
    »Und du solltest dir ernsthaft über das ihm gegebene Versprechen Gedanken machen. Ich finde, wenn man zu einem Schwur genötigt wird, der sich zudem im Nachhinein als Werkzeug des Bösen erweist, dann gilt er nicht. Du hast ja schon angefangen, uns zu helfen. Jetzt bringe es auch zu Ende.«
    Tozzo landete im Gras und ließ die Flügel hängen. »Tozzo ist dumm. Tozzilein weiß gar nichts…«
    »Könntest du nicht irgendeinen fliegenden Untersatz für uns beschaffen?«, sagte Giuseppe zu Pala, das selbstmitleidige Gejammer des Wortklaubers nicht weiter beachtend.
    »Nein.«
    »Und wieso nicht?«
    »Ist doch egal. Ich will es eben nicht.«
    »Hängt es mit deinen Albträumen zusammen, mit diesem endlosen Sturz von Zittos Mauer?«
    »Wenn du alles so genau weißt, dann brauchst du mich ja nicht zu fragen.« Pala kletterte auf ihren Antilowen und spornte ihn zum Sturmlauf auf Zittos Feste an. Giuseppe und Emilio hatten alle Mühe ihr zu folgen.
    Von der eingestürzten Brücke aus führte ihr Weg über grasbewachsene Hügel, die von Mal zu Mal höher wurden. Am späten Nachmittag galoppierten die Reiter dann in ein grünes Tal hinab, das Kundschafter Tozzo bereits lange vorher angekündigt hatte. Nun, im Schutz hoher Nadelbäume, fühlten sie sich wieder sicherer als unter freiem Himmel. Auf Giuseppes Frage hin hatte Tozzo ihnen nämlich eine unangenehme Eröffnung gemacht. Der Geschichtenerzähler wollte wissen, warum Tozzo sich mit einem Mal Zittos Zitadelle nähern könne, wenn ihm der Schlossherr diesen Weg doch durch einen Bannspruch verwehrt habe.
    Der Wortklauber holte zu einer weitschweifigen Erklärung aus. Normalerweise könnten er und seinesgleichen sich der Festung nicht nähern, weil sie sich vor ihnen versteckt hielt. Jetzt aber habe Pala mit ihrer Rätsellöserei »eine Schneise in die Schutzhecke Zittos geschlagen«, einen unsichtbaren Weg, der allen Lebewesen offen stehe.
    »Du meinst, auch den anderen Wortklaubern?«, fragte Giuseppe ahnungsvoll.
    »Ja-ja-ja, sie müssen ihn nur finden«, antwortete Tozzo.
    Für das Nachtlager suchte Giuseppe wieder eine grasbedeckte Waldlichtung aus. Fremdartige Bäume mit dunkelroter Rinde und fleischigen blauen Nadeln umsäumten den Platz, unter ihnen wuchs nur Moos. In größerem Abstand sprossen bunte Blumeninseln aus dem grünen Meer der Lichtung. Manche dieser Farbkleckse leuchteten in zarten Pastelltönen – rosarot, hellblau oder in einem Hauch von Violett –, jedoch die meisten bestanden aus erdbraunen, sumpfgrünen oder sogar nachtschwarzen Blüten.
    Vor lauter Entzücken über die niedlichen Pflänzchen vergaß Pala alles, was sie über Zornblumen und Trauerweiden wusste. Versonnen pflückte sie eines der zarten Gewächse, um es genauer zu betrachten. Der Blütenkelch war blassgelb und mit stecknadelkopfgroßen blauen Pünktchen gesprenkelt. Seine Form erinnerte an die Papiertüten der Gemüsehändler auf dem Markt. Pala glaubte ein kaum wahrnehmbares Wispern zu hören, das aus der Blüte kam. Sie hielt sich den Kelch ans Ohr und vernahm ein leises »Ich liebe dich, mein Kind!«. Erschrocken ließ sie die Blume fallen.
    Tozzo brummte heran. »Das solltest du lieber lassen, Pala.«
    Sie lachte überdreht. »Ich muss verrückt geworden sein. Die Blume hat…«
    »Gewispert. Tozzo weiß. Das sind Flüstertüten. Sie wachsen nur hier im Flüsterwald.«
    »Flüstertüten? Die Blume hat behauptet, sie liebe mich. Verrückt, oder?« Wieder lachte Pala auf eine seltsam aufgekratzte Weise. Warum musste die dämliche Flüstertüte ausgerechnet diese Worte benutzen? Mein Kind! Mutter hatte sie nie so genannt…
    Tozzo landete vor ihr auf dem Boden und sah sie besorgt an. »Hör nicht auf das Flüstern. Es hat nicht dir gegolten. Wispern, Fispeln, Pispern, Pispeln, Fispern, Lispeln – leise Gesagtes ist nur für wenige Ohren bestimmt. Manches entspringt zwar einem warmen Gefühl, wie du an den freundlich gefärbten Flüstertüten erkennen kannst, aber das meiste wird aus gutem Grund nur gezischelt, getuschelt, geraunt und gemurmelt. Geflüsterte Worte werden leicht vom Wind weggerissen. Oder von Wortklaubern.« Tozzo kicherte.
    Eine sanfte Brise strich durch die Baumwipfel und auch das hörte sich wie leises Flüstern an. Pala lief ein Schauer über den Rücken. Mit einer Mischung aus Furcht und Sehnsucht blickte sie auf die fallen gelassene Blüte hinab.
     
     
    Auf Giuseppes Vorschlag

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