Paladin der Seelen
ich mich ganz krank und fiebrig. Heute wollte ich in meinem Gemächern bleiben und mich ein wenig ausruhen. Bitte, Gräfin, fühlt Euch nicht verpflichtet, ständig für meine Unterhaltung zu sorgen.«
Lady Cattilara senkte die Stimme und sagte in vertraulichem Tonfall: »Tatsächlich hat die Stadt Porifors nur wenig Zerstreuung zu bieten. Wir sind hier an der Grenze, und die Menschen hier sind ebenso rau und geradlinig wie die Pflichten, denen sie nachkommen müssen. Ich habe allerdings meinem Vater geschrieben; Oby ist die zweitgrößte Stadt in Caribastos, nächst der Residenz des Herzogs selbst. Mein Vater würde sich gewiss sehr geehrt fühlen, wenn er Euch dort in einer Weise empfangen könnte, wie sie Eurem hohen Rang ansteht.«
»Ich fühle mich noch nicht gekräftigt genug für eine weitere Reise. Aber wenn es so weit ist, würde ich einen Halt in Oby sehr begrüßen.« Nicht ganz so sehr den Gefahren der Grenze ausgesetzt, dafür aber viel besser bemannt, überlegte Ista. »Doch diese Entscheidung muss nicht heute getroffen werden.«
Lady Cattilara nickte in mitfühlendem Verständnis, schien über die vage Zustimmung der Königin aber sehr erfreut zu sein.
Ja, ich kann mir vorstellen, dass du erleichtert wärest, wenn du mich anderswo loswerden könntest. Ista musterte sie genau.
Äußerlich sah sie aus wie immer. Zarte, grüne Seidenstoffe und Gewänder aus hauchdünnem Leinen über einem Leib voll biegsamer weiblicher Verheißung. Doch in ihrem Innern …
Ista schaute zu Liss hinüber, die dabeistand und darauf wartete, Istas Frisur fertig zu machen und ihrer Herrin in die Übergewänder zu helfen. Eine vollständige Persönlichkeit besaß eine Seele, die mit dem Körper harmonierte, einen Geist, umschlossen von der Materie, die ihn hervorbrachte und nährte. Daher war eine solche Seele für das zweite Gesicht fast ebenso unsichtbar wie für das normale Auge. Doch Ista vermeinte, dass sie in der derzeitigen, gottgewährten Erweiterung ihrer Wahrnehmungsfähigkeit zwar nicht die Gefühle und Gedanken eines Menschen erkennen konnte, aber den Zustand der Seele an sich. Liss schimmerte hell, wirkte aufgewühlt und farbenfroh und voller wirbelnden Energien. Ihre Seele war gänzlich in ihrer Mitte. Die Magd, die darauf wartete, das Waschwasser herauszutragen, besaß eine stillere Seele, die einen Schmierfleck von Unwillen aufwies, jedoch im Einklang mit dem Rest ihrer Erscheinung stand.
Cattilaras Geist war der dunkelste und der dichteste, aufgewühlt von Anspannung und verborgenem Leid. Unter der Oberfläche verbarg sich eine weitere Grenzlinie, noch düsterer und dichter, wie eine Perle aus rotem Glas, die man in rotem Wein versenkt hatte. Der Dämon hatte sich an diesem Morgen anscheinend noch fester in sich selbst eingerollt als in der Nacht zuvor. Versteckte er sich? Wovor?
Vor mir, erkannte Ista. Die Narben, die die Götter ihr geschlagen hatten, waren für sterbliche Augen nicht sichtbar, doch für die eigentümlichen Sinne des Dämons mussten sie so hell strahlen wie Leuchtfeuer in der Finsternis. Doch teilte der Dämon all seine Wahrnehmungen mit dem Wirt, der ihn aufgenommen hatte? Wie lange wurde Cattilara eigentlich schon von diesem Gast heimgesucht? Der sterbende Bär hatte verzehrt ausgesehen, verwüstet. Wie ein gefräßiger Tumor war der Dämon bereits in jeden Teil des Tieres ausgewuchert, hatte dabei die Seelensubstanz des Bären verzehrt und durch seine eigene ersetzt. Was mit Cattilaras Seele auch sein mochte – noch war es weitestgehend ihre eigene.
»Ist Lord Arhys letzte Nacht sicher zurückgekehrt, zu Eurer Erleichterung?«, fragte Ista.
»O ja.« Cattilara lächelte warm und versonnen.
»Bald werdet Ihr nicht mehr zur Mutter flehen müssen, sondern ihr danken können.«
»Ach, wenn es nur so wäre.« Cattilara schlug die heiligen Gesten. »Mein Herr Gemahl hat bisher nur eine Tochter, auch wenn Liviana ein hübsches Kind ist. Sie wird bald neun und lebt bei ihren Großeltern mütterlicherseits. Aber ich weiß, dass er sich nach einem Sohn sehnt. Wenn ich ihm einen Sohn schenken kann, wird er mich mehr schätzen als jede andere Frau!«
Mehr vielleicht als das Gedächtnis seiner ersten Frau? Misst du dich mit einer Toten, Mädchen? Der Blick zurück verschleierte manches und ließ einen Verstorbenen mitunter so vollkommen wirken, dass ein Lebender kaum heranreichen konnte. Gegen ihren Willen empfand Ista Mitleid. »Ich erinnere mich selbst noch an diese unangenehme
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