Paladin der Seelen
der Treppe zum steinernen Innenhof zu. »Dy Cabon, begleitet mich bitte. Wir müssen reden.«
»Und ich, Majestät?«, fragte Liss erwartungsvoll.
»Du kannst es dir in Rufweite bequem machen.«
Liss verstand den Hinweis und schlenderte zur Bank auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes. Nach einem Augenblick der Unsicherheit folgte ihr Foix, der anscheinend nicht verärgert war. Kaum hatten sie sich gesetzt, steckten sie auch schon die Köpfe zusammen.
Ista führte dy Cabon zurück zu der Bank im Schatten des Säulenganges. Sie bedeutete ihm, sich zu setzen, und er ließ sich mit einem Schnaufen nieder. Die Tage auf dem Pferd und in ständiger Aufregung hatten ihn sichtlich Kraft gekostet: Seine fleckigen weißen Roben hingen lose herab, und sein Gürtel war einige Löcher enger geschnallt. Ista erinnerte sich an den riesigen Körperumfang und die überbordende Fülle des Gottes, als dieser für den Traum dy Cabons Aussehen angenommen hatte. Es fiel ihr schwer, im derzeitigen Zusammenschrumpfen eine Verbesserung zu sehen.
Sie setzte sich neben ihn. »Ihr habt gesagt, Ihr wart bei der Bannung eines kleineren Dämons zugegen«, sagte sie. »Wie wurde der Bewohner des Frettchens aus der Welt geschafft? Was habt Ihr beobachtet?«
Er zuckte mit den breiten Schultern. »Da war nicht viel zu sehen, mit meinen unzureichenden Augen. Der Erzprälat von Taryoon führte mich zu der Geistlichen, die sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet hatte, eine ältere Frau, die hinfällig in einem Bett des Siechenhauses lag. Sie schien bereits zu drei Vierteln von der Welt losgelöst. Die Welt der Materie bereitet uns viele Freuden, dass es mir undankbar erscheint, ihrer müde zu sein. Die Frau aber sagte mir, sie habe schon zu viel Leid ertragen müssen und würde diesen Tisch nun mit Freuden verlassen und sich zu einem besseren Bankett gesellen. Sie sehnte sich nach ihrem Gott, wie sich ein müder Reisender nach dem eigenen Bett sehnt.«
Ista warf ein: »Ein Mann, der unter außergewöhnlichen Umständen einer mystischen Vision teilhaftig wurde, erzählte mir einmal, er habe die Seelen der Sterbenden wie Blumen im Garten der Göttin emporsteigen sehen. Er war allerdings von der Frühlingsherrin erwählt worden. Ich nehme an, jeder Gott hat seinen eigenen bildlichen Ausdruck – prachtvolle Tiere für den Herbstsohn, starke Männer und schöne Frauen für den Vater und die Mutter. Und für den Bastard?«
»Er nimmt uns so, wie wir sind. Hoffe ich.«
»Hm.«
»Aber nein«, fuhr dy Cabon fort. »Es gab keine besonderen Kniffe oder auch nur Gebete. Die Geistliche sagte, so etwas brauchte sie nicht. Da sie diejenige war, die starb, stritt ich nicht mit ihr darüber. Ich fragte sie, wie es denn sei, zu sterben. Sie schenkte mir einen seltsamen Blick aus dem Augenwinkel und sagte ein wenig beißend, wenn sie es herausgefunden hätte, würde sie es mich wissen lassen. Der Erzprälat bedeutete mir, dem Frettchen die Kehle durchzuschneiden, und das tat ich, über einer Schale. Die alte Frau seufzte, und dann schnaubte sie, als hätte sie noch so eine dumme Bemerkung gehört wie die meine, von der wir aber nichts mitbekommen hatten. Und dann … erlosch sie einfach. Sie brauchte nur einen Augenblick, um vom Leben zum Tod überzugehen. Und das war es dann. Vom Saubermachen nachher abgesehen.«
»Das war nicht besonders hilfreich«, seufzte Ista.
»Nun, aber genau das habe ich gesehen. Ich nehme an, sie sah mehr. Aber ich kann mir nicht vorstellen, was das war.«
»In meinem Traum … dem Traum, in den Ihr später hereingekommen seid … hat der Gott mich zweimal geküsst. Das erste Mal auf die Stirn.« Sie berührte die Stelle. »So, wie seine Mutter einst. Weil ich sie schon einmal erhalten hatte, erkannte ich darin die Gabe des zweiten Gesichts, die Fähigkeit, die spirituelle Welt so unmittelbar wahrzunehmen wie die Götter selbst. Dann aber küsste er mich ein zweites Mal, auf … nein, in den Mund. Tiefer, beunruhigender. Sagt mir, dy Cabon, was bedeutet dieser zweite Kuss? Ihr müsst es wissen. Ihr wart auch da.«
Er schluckte und errötete. »Ich habe keine Ahnung, Majestät. Der Mund ist das theologische Sinnbild des Bastards und seine Entsprechung an unserem Leib, so wie es die Daumen an unseren Händen sind. Hat er Euch sonst keine weiteren Hinweise gegeben, außer meiner Anwesenheit?«
Sie schüttelte den Kopf. »Am nächsten Morgen kam Goram vorbei, mit der fixen Idee, dass eine Königin – auch eine Königinwitwe
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