Paladin der Seelen
wäre gern der einsame strahlende Held gewesen, der zu Ias’ Rettung herbeigeeilt wäre, wenn er gekonnt hätte. Das war seine gewohnte Rolle. Und tatsächlich, eine Zeit lang schien es, als hätten die Götter ihm eben diese Rolle zugedacht.
Schließlich erschien mir die Sommermutter selbst, nicht im Traum, sondern in einer Vision am hellen Tag. Vielleicht werden selbst die Götter irgendwann ungeduldig mit unserer Begriffsstutzigkeit. Jedenfalls, ich war überwältigt – ich hatte noch nicht gelernt, den Göttern gegenüber misstrauisch zu sein. Sie ließ mich wissen, dass der Fluch gebrochen werden und aus der Welt geschafft werden könne, von einem Mann, der dreimal sein Leben für das dahinsiechende Königshaus von Chalion opferte. Ich war jung und verrückt vor Sorge um meine kleinen Kinder. Also nahm ich diese Aussage allzu wörtlich und schloss daraus, dass sie von mir verlangte, einen gefährlichen Ritus zu ersinnen, um diesen Widersinn Wirklichkeit werden zu lassen.«
»Das ist in der Tat gefährlich. Und …«, Falten zeigten sich auf seiner Stirn, »widersinnig.«
»Ich erzählte alles Ias und Arvol, und wir berieten uns. Arvol war betroffen von unseren Tränen und erklärte sich bereit, die Rolle des Helden zu übernehmen. Wir einigten uns auf Ertrinken als Methode, denn wir wussten, dass gelegentlich schon Menschen vom Tod durch Ertrinken zurückgekehrt waren. Außerdem hinterließ es keine entstellenden Spuren. Arvol studierte alle Berichte, die er darüber bekommen konnte, beschäftigte sich mit Opfern, sowohl mit Verstorbenen wie auch mit solchen, die man gerettet hatte. In einer Höhle unter dem Zangre stellten wir ein Fass auf, bereiteten Seile und eine Winde vor. Wir errichten Altäre für alle Götter. Arvol ließ sich ausziehen, fesseln und kopfüber hinunterlassen, bis er sich nicht mehr rührte und das Licht seiner Seele vor meinem inneren Auge erlosch.«
Arhys wollte etwas sagen, doch Ista hob die Hand, um ein Missverständnis zu verhindern. »Nein. Noch nicht. Wir zogen ihn wieder heraus, pressten ihm das Wasser aus der Lunge, massierten sein Herz, riefen unsere Gebete, bis er schließlich würgte und wieder zu atmen begann. Und ich sah erste Risse im Fluch.
Wir hatten vor, das Ritual in drei aufeinander folgenden Nächten zu wiederholen. In der zweiten Nacht verlief alles genauso, bis sein Haar die Wasseroberfläche berührte. Dann aber forderte er uns auf, innezuhalten – er könne es nicht ertragen! Er warf mir vor, ich wolle ihn ermorden, aus Eifersucht. Ias zögerte. Ich war erschüttert, und mir war übel, doch ich ließ mich von der Vernunft drängen. Arvol selbst hatte diese Methode ausgewählt, und einmal war es ja schon gut gegangen … ich jammerte aus Furcht um meine Kinder. Ich war verzweifelt, weil wir ihrer Rettung so nahe gekommen waren und nun scheitern sollten, nur eine Handbreit davor. Und ich war wütend über dy Lutez’ Verleumdung und darüber, dass sein Hochmut mich zu so großen Hoffnungen verleitet hatte, die nun durch seine Schwäche so jämmerlich zunichte gemacht werden sollten.« Schlicht fügte sie hinzu: »Ich glaubte an das, was er zu sein vorgab, wisst Ihr.«
Aus der Dunkelheit, aus irgendeinem Tal unterhalb der Burgmauern, erklang das dünne, hohe Zirpen von Insekten. Kein anderer Laut war zu hören. Arhys hatte zu atmen vergessen. Vielleicht verlor sein Körper allmählich seine Gewohnheiten. Sie fragte sich, wie lange es dauern würde, bis er darauf aufmerksam wurde.
»Als wir ihn das zweite Mal herauszogen, war er wirklich tot, und all unserer Tränen und Gebete, unser Bedauern und die gegenseitigen Beschuldigungen brachten ihn nicht ins Leben zurück. Später kam Ias zu dem Schluss, dass Arvols Anschuldigung der Wahrheit entsprach. Und die meiste Zeit war auch ich dieser Meinung. Die Verantwortung lag bei … Ias, für seine Schwäche, und bei mir, für meine Ungeduld und Dummheit. Denn wäre Ias mir entgegengetreten, hätte ich nachgegeben. Oder hätte ich auf mein Herz gehört und nicht auf meinen Kopf, und hätte Arvol mehr Zeit eingeräumt – wer weiß, ob er nicht einen Tag später, oder eine Woche, oder einen Monat, seinen Mut zurückgewonnen hätte? Das werde ich jetzt nie mehr erfahren. Die Götter hatten mich verlassen. Der Fluch blieb bestehen, ungebrochen, und mit schlimmeren Folgen als je zuvor. Bis schließlich eine neue Generation einen anderen Mann hervorbrachte, der besser geeignet war, den Fluch von der Welt zu nehmen.« Sie
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