Paladin Project. Renn um dein Leben (German Edition)
unter dem Sitz ab und fand den Getränkebecher des Schnellrestaurants, den er dort vor zwei Tagen deponiert hatte.
»Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll, Will«, strahlte seine Mom und gestikulierte aufgeregt mit den Händen. »Das ist absolut unglaublich.«
Sie sah aus wie seine Mom und klang auch wie sie … aber das würde sie nicht sagen . Eigentlich hätte sie ihn besorgt fragen müssen, wie diese Testergebnisse zustande gekommen waren. Warum er ihre Regeln missachtet und damit Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Normalerweise hätte sie das zuerst gesagt.
Will hielt den Blick nach vorn gerichtet, weil er fürchtete, sie könnte die Angst in seinem Gesicht sehen, wenn er sie ansah.
Nr. 14: STELLE ALLE FRAGEN IN DER REIHENFOLGE IHRER WICHTIGKEIT.
»Geht es dir gut?«, erkundigte er sich.
»Ja. Alles in Ordnung. Ich bin nur so aufgeregt«, erklärte sie, während die Armbänder an ihren Handgelenken klimperten. »Der Rektor rief an, als ich auf dem Weg zur Arbeit war, und stellte zu Dr. Robbins durch. Danach habe ich sofort Dad angerufen. Er lässt den Rest der Tagung sausen und kommt noch heute Abend nach Hause. Er war total aus dem Häuschen.«
Dad würde bestimmt alle möglichen Reaktionen zeigen, aber er wäre sicher nicht »aus dem Häuschen«, dachte Will.
Er bemühte sich, kontrolliert zu atmen, genau so, wie Dad es ihm beigebracht hatte. Doch als sie einen Block vor ihrem Haus an einer schwarzen Limousine vorbeifuhren, die in einer Seitenstraße stand, hatte er Mühe, ruhig zu bleiben: Die Limo sah genauso aus wie der Wagen von heute Morgen.
»Ich denke, wir haben eine Menge zu bereden«, sagte er betont gelassen.
»Auf jeden Fall. Aber ich muss sagen, Will-Bär, du hörst dich gar nicht so aufgeregt an.«
»Ich würde mir die Informationen über diese Schule gern genauer ansehen«, erklärte er und umschloss den Umschlag mit Dr. Robbins Unterlagen fester. »Eins nach dem anderen.«
Nr. 20: ES MUSS IMMER EIN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN ANHALTSPUNKT UND SCHLUSSFOLGERUNG BESTEHEN.
»Du hast vollkommen recht«, stimmte seine Mom ihm zu, als sie in die Einfahrt bog. »Wir sollten nichts überstürzen. Eins nach dem anderen.« Sie parkte den Wagen und suchte ihre Sachen zusammen.
Will lief voraus. Er stürmte die Treppe hinauf in sein Zimmer, zog sich schnell Laufklamotten an, schnappte sich sein MacBook und trug es hinunter in die Küche. Er versuchte angestrengt, ruhig zu bleiben, und klammerte sich an das, wovon er wusste, dass er es tun musste: Öffne deine Sinne, kläre deinen Geist und achte auf jede Einzelheit.
Nr. 9: SIEH HIN UND HÖR ZU, SONST WIRST DU NICHT BEMERKEN, WAS DIR ENTGEHT.
»Fang schon mal an«, rief Belinda ihm zu, während sie sich eine Cola light aus dem Kühlschrank holte. »Ich muss zurück zur Arbeit. Wir gehen alles später zusammen mit Dad durch.«
Dann umarmte sie ihn von hinten, während er sich an den Tisch setzte. Ihre Geste kam ihm angespannt und verkrampft vor, falsch . Die dunkle Sonnenbrille rutschte ihr von der Nase und zum ersten Mal sah Will ihre Augen: Es waren die Augen seiner Mutter, aber sie blickten erschreckend glasig und leer.
»Wir sind so stolz auf dich«, versicherte sie und verschwand dann.
Als die Vordertür ins Schloss fiel, lief Will ins Wohnzimmer und beobachtete, wie sie wegfuhr. Die Green Machine wurde langsamer, während sie um die Ecke in die Straße einbog, wo er die schwarze Limousine gesehen hatte. Dann fuhr die Seitenscheibe des Focus herunter, während der Wagen langsam außer Sichtweite rollte. Will rannte zum nächsten Fenster, von wo aus er beide Autos sehen konnte. Sie standen nebeneinander, Fahrer neben Fahrer.
Sie spricht mit ihm.
Will verschloss alle Türen und rief seinen Vater auf dem Handy an – Bitte, Dad, geh ran –, wurde aber nur mit der Mailbox verbunden. Er unterbrach die Verbindung und schrieb ihm eine SMS: MUSS MIT DIR REDEN. RUF MICH AN.
Großbuchstaben. SCHREIEN. Alles, was nötig war, um Dads Aufmerksamkeit zu erregen. Will legte das Smartphone neben seinen Laptop und griff mit zittrigen Händen nach Dr. Robbins' Umschlag. Er musste sämtliche Selbstkontrolle aufbieten, um nicht in Panik zu geraten …
Aus seinem Handy ertönten Marimbaklänge. Will fuhr vor Schreck zusammen und nahm schon vor dem zweiten Klingeln den Anruf entgegen: Anruf von Dad .
»Dad? … Dad?«
Will hörte ein hohles, metallisches Geräusch, als würde Wasser durch einen Gully rauschen. »Dad, bist du da?«
Das Rauschen
Weitere Kostenlose Bücher