Paladin Project. Renn um dein Leben (German Edition)
Tragweite seines Verlustes auf ihn herein. Mit aller Kraft wehrte er diese Gefühle ab, bevor der Kummer ihn überwältigte.
Ich werde nicht trauern. Wer auch immer uns das angetan hat, ich werde ihm diese Genugtuung nicht schenken. Ich weiß, dass Mom und Dad noch am Leben sind, und ich werde alles tun, um sie zu finden.
Er war einfach in dieses neue Leben hineingeschleudert worden und musste stark bleiben und nach vorn schauen. Seine Eltern würden wollen, dass er genau das tat.
Nr. 50: WENN CHAOS HERRSCHT, HALTE DICH AN DIE ROUTINE. SCHAFFE NACH UND NACH ORDNUNG.
Will wischte sich die Tränen aus den Augen und betrachtete sich lange im Spiegel. Was er dort sah, gefiel ihm nicht: erschöpft, blass, niedergeschlagen. Er sortierte seine wenigen Kleidungsstücke in den Schrank, legte den mechanischen Vogel in die oberste Schublade der Kommode und faltete das Handtuch darüber. Die gerahmte Fotografie seiner Eltern und Dads Regeln wanderten auf den Nachttisch. Er verstaute das Handy unter der Matratze und steckte das Ladegerät in die Steckdose hinter dem Bett.
Dann duschte er. Heißes Wasser schoss mit großem Druck aus einem verstellbaren Brausekopf. Will achtete darauf, dass seine Haare nicht nass wurden, und wusch die Strapazen der Reise ab. Einigermaßen wiederhergestellt, zog er seine Ersatzjeans, ein weißes T-Shirt, Pullover und seine Fliegerjacke an. Womit seine Garderobe auch schon mehr oder weniger erschöpft war.
Als er laute Stimmen aus dem großen Raum hörte, öffnete er die Tür.
Ein älterer Junge stand an der Eingangstür: Er war etwa acht Zentimeter größer und dreißig Pfund schwerer als Will und schien nur aus Muskeln zu bestehen. Der Junge war gebräunt, rotwangig, hatte kurze schwarze Haare und trug über einer gut sitzenden grauen Baumwollhose ein enges marineblaues Polohemd. Er hielt Brookes Handgelenk umklammert, drehte es leicht und zog sie näher zu sich heran. »Das hast du nicht gesagt. So haben wir das nicht abgemacht«, stieß er in ziemlich lautem Ton hervor.
»Schrei nicht so und lass mich los«, sagte sie.
»Hey«, rief Will. »Was geht ab?«
Der ältere Junge schaute überrascht zu Will. »Wer ist die Flasche?«, wollte er von Brooke wissen.
»Er ist gerade angekommen …«
Will ging zu den beiden hinüber und grinste wie ein ahnungsloser Trottel. »Mein Name ist Will West und ich komme auch aus dem Westen. Wenn das keine Ironie ist. Freut mich ehrlich, dich kennenzulernen. Und du bist?« Er streckte die Hand aus und verbreitete weiter Nerd-Schwingungen.
Ein Rest von Country-Club-Manieren brandete durch das Hirn des Muskelberges. Er ließ Brooke los und schüttelte Will die Hand. »Todd Hodak.« Dabei riss er die Augen weit auf, um Interesse zu heucheln, und drückte Wills Hand, so fest er konnte.
Will tat so, als würde es wahnsinnig wehtun, krümmte sich und versuchte, sich zu befreien. »Mann, was für ein Händedruck, Todd. Sieh dir das an, ich kann garantiert nie wieder Klavier spielen.« Er hielt seine Hand hoch, die schlaff herunterhing, und gluckste.
Todd starrte ihn an, als hätte er Lepra.
»Du bist bestimmt Sportler. Was machst du? Wahrscheinlich so ziemlich alles! Ich bin gerade erst angekommen und vermisse schon jetzt meinen Hund. Hast du auch einen Hund? Meiner heißt Oscar, ein Langhaardackel. Erinnert ein wenig an ein Wiener Würstchen …«
Genervt drehte Todd sich zu Brooke. »Wir reden später weiter.« Dann knallte er die Tür hinter sich zu.
Aufgeregt und mit rotem Kopf stürmte Brooke zur Küche. Will folgte ihr bis zum Essbereich. Sie kam mit einem großen Teller zurück, den sie laut und unsanft auf den Tisch stellte. »Entschuldige mich einen Augenblick«, sagte sie, lief in Zimmer 1 und schloss die Tür hinter sich.
Kurz darauf hörte Will sie weinen. Unsicher, was er tun sollte, ging er zum Tisch, auf dem ein Krug mit Limonade und große Gläser mit Eiswürfeln standen, daneben kleine Tonschälchen mit drei verschiedenen Dips, ein Teller mit Gemüsestreifen und einer mit gewürzten Oliven.
Und die ganze Zeit konnte er nur eins denken: Sie wohnt auch hier. Es gibt einen Gott.
Dann flog die Wohnungstür auf und ein elfenhafter schwarzhaariger Junge stürmte herein, bepackt mit Kartons voller elektronischer Bauteile. Als er Will sah, blieb er verblüfft stehen. Seine Haut besaß die Farbe von Karamell und seine großen braunen Augen leuchteten. Er musterte Will einen Moment eingehend mit unveränderter Miene. Dann hastete er zu Zimmer 3
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