Paladin Project. Renn um dein Leben (German Edition)
»Du hast mir nicht gesagt, dass du ein Vollstipendium hast, Mann. Das ist natürlich eine ganz andere Sache.« Ajay reichte Will eine dicke Kreditkarte aus Plastik. Sie war unbedruckt und vom gleichen tiefen Schwarz wie Dr. Robbins' dehnbarer Tablet-Computer. Ajay fuhr mit dem Finger über die Kante und aktivierte so einen Sensor. Das Wappen der Schule erschien, schwebend in der Mitte der Karte, und darunter standen ein sechzehnstelliger Zahlencode und der Name WWEST.
Will drehte die Karte um. Wie bei normalen Kreditkarten verlief auch hier ein Magnetstreifen über die Rückseite. Seine Eltern hatten ihm erklärt, wie diese Streifen funktionierten und dass Banken und Unternehmen sie dazu benutzten, vertrauliche Informationen über ihre Benutzer zu sammeln und zu speichern. Er fragte sich, wie viele Informationen wohl bereits auf dieser Karte gespeichert waren. »Nimmt man hier auch Bargeld an?«, erkundigte er sich.
»Bargeld? Du lieber Himmel, du brauchst doch kein Bargeld mehr. Du hast jetzt die Karte und du kannst sie überall benutzen.«
»Hat man dir vielleicht gesagt, wie hoch mein Limit ist?«
»Wenn es eines gibt, dann ist es jetzt deine Aufgabe, das herauszufnden«, erwiderte Ajay.
Lebenshaltungskosten, Bücher und andere Arbeitsmaterialien , alles inklusive . Wieder hatte Dr. Robbins gehalten, was sie versprochen hatte.
»Also gut, dann mal los.« Will ließ Hose und Rugby-Hemd in den Wagen fallen. Bis jetzt hatte er noch nie irgendwo eingekauft, ohne auf den Preis achten zu müssen. Die Aussicht darauf stimmte ihn ganz euphorisch, aber trotz Ajays Ermutigung, das Limit zu testen, hatte er noch immer das Gefühl, sich unberechtigt zu bereichern. Ajay warf ständig Sachen in den Einkaufswagen und Will legte sie immer wieder zurück.
Nr. 81: NIMM NIE MEHR, ALS DU BRAUCHST.
Drei Hosen. Fünf Hemden in Marineblau und Grau. Socken und Unterwäsche für sieben Tage. Ein paar Winterstiefel mit dicken Sohlen. Eine blaue Strickmütze. Mit Fleece gefütterte Handschuhe und ein grauer Wollschal. Zwei Sets lange Unterwäsche. Der einzige Luxus, den Will sich erlaubte, war ein dunkelblauer Winterparka mit pelzgefütterter Kapuze, aber er überzeugte sich mühelos davon, dass er ihn unbedingt brauchte, um hier zu überleben.
Eine freundliche Kassiererin gab alle Artikel ein, bat ihn um seine Karte und zog sie über einen Scanner, der das Plastik zum Glühen brachte. Will musste nichts unterschreiben. Er sah auch nicht, was das Ganze kostete, denn auf der Quittung, die er bekam, standen keine Preise.
»Wie lange bist du schon hier?«, fragte Will.
»Bin im zweiten Jahr. Als Neuling war ich ungefähr so groß wie dieses Hühnerteil.« Ajay zeigte mit seiner Gabel auf ein Stück Hähnchen auf seinem Teller und lachte wieder auf seine ansteckende Art.
Will konnte nicht anders, als ebenfalls zu lachen, besonders wenn Ajay Witze über sich selbst machte.
Sie saßen im Food-Court bei Schalen gefüllt mit Reis-Teriyaki und frisch zubereitetem, köstlichem japanischem Sunomono-Salat, bezahlt mit einem einzigen Aufblitzen von Wills magischer Karte. Ein voller Magen hellte seine Stimmung unfassbar auf. Genau wie das Fleeceshirt.
»Was soll eigentlich das ganze Theater von wegen Handys und Laptops?«, fragte er.
Ajay zog die Augenbrauen zusammen und sein Blick verfinsterte sich. »Dann hast du Lyle also schon kennengelernt.«
»Ja.«
Ajay beugte sich vor. »Zuerst hab ich geglaubt, es wäre eine Vorschrift, die die Schule sich ausgedacht hat, um zu zeigen, dass sie das Sagen hat. Und ich nahm an, das Ignorieren dieser Vorschrift würde mehr honoriert als ihre Beachtung. Das war jedoch ein Irrtum, wie sich herausstellte: Sie nehmen das wirklich sehr ernst.«
»Aber warum?«
»Sie wollen nicht, dass wir ständig auf Telefone starren oder im Internet unterwegs sind. Sie wollen wirklich, dass wir miteinander reden.«
»Eine SMS ist auch eine Form, miteinander zu reden«, wandte Will ein. »Und meistens ist sie wesentlich effektiver.«
»Ich widerspreche dir ja gar nicht, Will, aber ich mache die Vorschriften nicht. Und, ehrlich, nach einer Weile wirst du feststellen, dass du von persönlicher Kommunikation nur profitieren kannst.«
»Wie das?«
»Sie zwingt dich, dein Schneckenhaus zu verlassen, und ist besser für deine sozialen Kompetenzen. Ob du es glaubst oder nicht: Ich war ziemlich introvertiert.«
»Das sagst du nur so.«
»Nein, es stimmt, ich schwöre es! Und jetzt sieh dir an, was aus mir geworden
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