Paladin Project. Renn um dein Leben (German Edition)
den Kofferraum des ersten Wagens luden. Auf dem dritten war Belinda zu sehen, wie sie mit einem von ihnen vor dem Haus sprach. Der Mann hatte seine Kappe abgenommen. Er war kahl.
Instinktiv probierte Will etwas anderes. »Heranzoomen«, befahl er.
Sofort holte der Computer das Foto näher heran, bis Will Belinda besser sehen konnte. Sie hatte sich körperlich nicht verändert, sah aber auf diesem Bild weniger wie seine Mom aus. Eher wie eine Schauspielerin mit Kostüm und Make-up während einer Drehpause: in diesem Moment spielte sie nicht seine Mom.
Ein Ton erklang aus dem Computer. Auf dem Bildschirm öffnete sich eine neue Nachricht von Nando. Es war eine SMS, gesendet von seinem Handy: Kappen hauen ab … Habe alles im Blick …
Erneut klopfte es an Wills Tür. »Alle Dateien schließen«, befahl er rasch.
Sofort erschien wieder der Begrüßungsbildschirm, das animierte Schulwappen – Engel, Pferd, Ritter – über schimmerndem Schwarz. Dieselbe Frage, die er vorhin schon gesehen hatte, tauchte ein weiteres Mal auf: MÖCHTEN SIE JETZT MIT DEM LERNPROGRAMM BEGINNEN?
»Nicht jetzt«, erwiderte Will.
WIE SIE MÖCHTEN, WILL. Der Bildschirm wurde wieder schwarz.
Will hatte nie ein Haustier besessen, aber dieser neue Computer weckte in ihm ein sehr seltsames Gefühl. Er wusste nicht, wie er es sonst ausdrücken sollte, doch das Gerät schien seinen Befehlen freudig zu folgen – wie ein Hund. Will ging zur Tür.
Draußen stand Ajay in seiner Schuluniform, selbstsicher und formell. »Will, wir haben beschlossen, dass du uns zum Abendessen begleitest«, verkündete er mit seiner tiefen Stimme. »Und ich fürchte, du kannst in dieser Angelegenheit keinen Widerspruch einlegen.«
DER TOTE JUNGE
Neben der Eisdiele und dem Food-Court gab es vier Restaurants auf dem Campus: ein formeller Speisesaal für Elternbesuche und Besprechungen mit Lehrern, wo man reservieren und Anzug und Krawatte tragen musste; ein Grillrestaurant in der Sporthalle für Mannschaftsessen vor oder nach einem Spiel oder dem Training; eine Mensa – bei Weitem der größte Gastronomiebetrieb –, der fast die gesamte Fläche im Erdgeschoss eines Gebäudes nicht weit vom Studentenwerk einnahm und täglich von 6 bis 24 Uhr ein durchgehendes Büfett anbot; und schließlich der Rathskeller, in den Will von seinen Mitbewohnern geführt wurde.
Eine abgenutzte Steintreppe führte hinab in den Keller von Royster Hall, dem ältesten Haus auf dem Campus. Über der Tür hing ein Holzschild, in das in gotischen Lettern aus der Zeit Pinocchios DER RATHSKELLER – SEIT 1915 geschnitzt war.
Die fünf betraten einen überraschend warmen und gemütlichen Kellerraum, der durch gemauerte Bögen unterteilt war und in dem lange Tische mit dunklen Holzbänken standen. An beiden Enden brannte ein Kaminfeuer. Der Boden war mit einer Schicht Sägemehl bestreut und auf den Tischen standen Messinglaternen mit künstlichen, flackernden Kerzen. Deckel und Böden riesiger Fässer mit den aufgeprägten Insignien alter Brauereien aus Milwaukee zierten die Wände. Wills Mitbewohner erklärten, der Rathskeller sei bei der Gründung des Centers der Besprechungsraum der Lehrerschaft gewesen – ein kulinarischer Tempel, hauptsächlich der deutschen Küche Wisconsins gewidmet.
Als Speisekarten dienten große rechteckige Tafeln, die über den Kaminen an den Wänden hingen. Darauf waren mit Kreide einige der Speisen geschrieben, die Will noch nie gehört hatte: Knackwurst, Sauerbraten, Schweinshaxe mit Spätzle, Weißwurst, Bratkartoffeln, Hasenpfeffer, Martinsgans .
Die anderen bestellten für Will, der lieber schwieg und der Interaktion seiner neuen Mitbewohner folgte. Clever und eloquent leitete Ajay die Unterhaltung und hielt den Ton leicht. Nick riss unermüdlich Witze und sabotierte jedes Thema, das zu ernst zu werden drohte. Elise hielt sich zurück, stimmte aber ein, wenn Nick bissige Bemerkungen über die anderen machte – spielerisch, wenn es um Anwesende ging, und nicht ganz so spielerisch, wenn sie über Personen sprach, die nicht zur Gruppe gehörten. Beide waren Spezialisten darin, andere zu verunsichern. Will wusste nicht, ob das ihre Art war, die eigene Verletzlichkeit zu verbergen, oder ob sie tatsächlich ein bisschen boshaft veranlagt waren.
Somit blieb als Einzige Brooke, die sich wie eine Erwachsene verhielt und die anderen wieder auf höfliches Terrain führte, wenn sie zu weit gingen. Und das taten sie andauernd – und sei es auch nur, damit Brooke sie
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