Paladin Project. Renn um dein Leben (German Edition)
flüsterte: »Ich weiß über dich Bescheid. Ich weiß alles über dich.«
Will nahm die Flasche mit Ahornsirup vom Tisch und trat neben Lyle. Dann kam er ganz nah an ihn heran, senkte die Stimme, damit nur er ihn hören konnte, und packte Lyles Gürtel. »Ich möchte dich was fragen, Lyle«, flüsterte Will zurück. »Hast du schon mal mit einem halben Liter Ahornsirup in der Hose im Unterricht gesessen?«
Das Grinsen verschwand aus Lyles Gesicht und auf seinen Wangen tauchten leuchtend rote Flecken auf.
»Nein?«, hakte Will nach. »Willst du mal wissen, wie das ist?«
Unsicher, was er tun sollte, hörte Ajay auf, Lyles Schuhe zu säubern.
»Zieh die Nummer des ›unheimlichen Wohnheimaufsehers‹ woanders ab. Bei mir funktioniert das nicht«, zischte Will.
Abrupt drehte Lyle sich um und stolzierte davon. Der mit Sirup bekleckerte Schuh quietschte bei jedem Schritt und ließ seinen seltsam gespreizten Gang noch plumper wirken. Im nächsten Augenblick stürmten Todd Hodak und seine Kumpels zu ihm.
Will schaute in Brookes Richtung: Sie hatte die ganze Szene beobachtet und zeigte ihm jetzt kurz den nach oben gestreckten Daumen.
»Stell das weg und komm mit«, befahl Ajay. »Schnell.«
Will folgte ihm nach draußen, wo Ajay ihn um die nächste Ecke zog. Sie sprinteten los, um außer Sichtweite zu gelangen. Als sie kurz einen Blick zurückwarfen, sahen sie, wie Todd Hodak und zwei andere aus der Mensa gerannt kamen und nach ihnen Ausschau hielten.
Ajay drückte Will mit dem Rücken gegen das Gebäude, damit sie ihn nicht sehen konnten. »Um Gottes willen, Mann, hast du völlig den Verstand verloren?«
»Der Typ war eindeutig im Unrecht«, widersprach Will.
»Aber so kann man mit Lyle Ogilvy nicht umspringen …«
»Falsch: Er kann mit dir nicht so umspringen. Und beim nächsten Mal wird er es sich zweimal überlegen«, beharrte Will. »Warum bist du überhaupt so plötzlich aufgestanden?«
»Keine Ahnung«, räumte Ajay ein und schaute verwirrt. »Ich glaube … ich habe wohl gedacht, es sei Zeit zu gehen, und … um ehrlich zu sein, kann ich mich gar nicht daran erinnern, dass ich aufgestanden bin. Wieso?«
»Ich war nur neugierig.«
»Na, wie auch immer. Vielen Dank, dass du dich für mich eingesetzt hast. Aber lass uns solche Dinge beim nächsten Mal bitte vorher besprechen.«
Will war einverstanden. Als sich ihre Wege trennten, schüttelten sie einander die Hand. »Ich vertraue dir auch, Ajay«, sagte Will.
Will hatte keine Mühe, Nordby Hall zu finden, und stand vor Dr. Robbins' Büro, als sie um zwei Minuten vor neun in beigefarbenem Wildlederrock, braunen Stiefeln und geripptem, cremefarbenem Rollkragenpullover angerauscht kam. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet.
»Dads Regel Nummer 54: Wenn du nicht pünktlich sein kannst, dann sei zu früh«, meinte Will.
»Die Regel gefällt mir. Komm rein.«
Er folgte Dr. Robbins in ihr Büro. Durch die Fenster, die zum Campus hinausgingen, fiel strahlendes Morgenlicht in den Raum. An zwei Wänden hingen Gemälde von Küstenlandschaften, karge Bilder von Brandung und Sand in blassen, beruhigenden Farben. Robbins' Schreibtisch war aus Glas und Edelstahl gefertigt und ihre Bücherregale bestanden aus dicken Glasplatten, die an Drahtseilen hingen. Keinerlei Schnickschnack, alles klar und effizient, einschließlich einer großen bequemen Couch, einem Beistelltisch und zwei Sesseln. Will fragte sich, ob die Schüler, die sie beriet, auf dem Sofa Platz nahmen; Robbins war schließlich Psychologin. Sicherheitshalber setzte er sich auf einen der Sessel.
»Wie war dein erster Abend? Hast du alle deine Mitbewohner kennengelernt?«
Will erzählte Robbins, dass die anderen ihn zum Abendessen eingeladen hatten und alle sehr nett zu sein schienen.
Dr. Robbins saß ihm gegenüber und hielt zwei Ordner in der Hand. »Ich habe Mr McBride gebeten, sich zu uns zu gesellen, damit wir über deinen Stundenplan sprechen können, aber bevor wir dazu kommen …« Sie legte die Ordner auf den Tisch und schlug einen davon auf. »Nach dem, was du mir gestern erzählt hast, habe ich eine Kopie des Tests angefordert, den du im September absolviert hast.«
Will las »National Scholastic Evaluation Agency« oben auf der ersten Seite eines zusammengehefteten, etwa 16 Seiten umfassenden Dokuments. Er erkannte die Fragen auf der Seite wieder.
»Ist das dein Fragebogen?«, fragte Dr. Robbins.
Der zuständige Aufsichtführende hatte jeden Test mit einer Maschine gestempelt,
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