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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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im gleichen Augenblick, daß Angstschweiß sein enganliegendes Wams dunkel gefärbt hatte. Plötzlich erinnerte er sie an Glaukos, der – ertappt bei einem seiner übermütigen Streiche – auch immer wütend und ängstlich zugleich die Strafe erwartete.
    Rührung erfaßte sie. Sie setzte die Maulöffnung an ihre eigenen Lippen und trank.
    »Gewürzter Wein«, sagte sie dann so leise, daß nur Theseus sie hören konnte. »Mit Zimt und Kräutern versetzt.«
    Er wurde rot. Verlegen trank er stehend einen großen Schluck. Phaidra nahm das Rhython zurück und begann ebenfalls zu singen. Dabei sah sie Theseus unverwandt an. Ihre Augen schienen tief in ihn einzudringen. Als er kaum merklich nickte, wußte Phaidra, daß auch er bereit war. Erst als Theseus in das Lied eingefallen war, wandte sie sich zum Gehen. Singend trug sie das Kultgefäß zurück zum Thron der Mutter. Dort setzte sie es behutsam auf den Stufen ab.
    Als hätte sie nur auf Phaidras Rückkehr gewartet, stand Pasiphaë auf. Gefolgt von Mirtho, ging sie in Richtung der grünlich schimmernden Felsengrotte. Auf den Stufen hielt sie inne und drehte sich zu den Mysten um. Jetzt erkannten sie, daß die Schlangen an ihren Armen geschlossene Ringe bildeten, emporgewunden wie um eine imaginäre Achse.
    Abermals begann Pasiphaë zu sprechen, und das Lied der Kraft wurde leiser und leiser, bis es ganz verebbte.
    »Schwarz bist du als Vogel, blitzschwanger als Wolke, als Wind und Meeresstern. Du bist das Anfangslose, aus dem alle Wesen entstanden sind. Große Mutter der schwarzen Tiefe, laß diese Mädchen und Knaben in Deinen ewigen Leib eindringen!«
    Dann nahm das Dunkel sie auf.
     
    Steif erhob sich Minos von der Bank. Selbst er konnte sich nur schwer aus dem Bann des Rituals lösen. Den jungen Athenern schien es ähnlich zu gehen. Deshalb begann er erst zu sprechen, als wieder Bewegung in die Gruppe kam.
    »Den Gebeten an die Göttin schließt sich nun ein Festmahl an, das euch auf Kreta willkommen heißen soll«, verkündete er laut. Dann öffnete er eigenhändig die westliche Türe des Thronsaales, die ins Freie führte. »Folgt mir!«
    Sie traten erleichtert hinaus in eine warme Frühsommernacht, überquerten den großen Innenhof und stiegen einen steilen Stufenportikus hinauf. Im ersten Obergeschoß klopfte Minos an die Tür. Ihre Doppelflügel schwangen langsam auf.
    Vor ihnen öffnete sich nach der feierlichen Beschwörung des Dunklen nun eine doppelstöckige, lichterfüllte Halle. Es mußten Hunderte von Kerzen sein, die den Alabasterboden in einen makellosen Elfenbeinton tauchten.
    Wandmalereien zeigten lilienbewachsene Landschaften, in denen blaue Affen über Felsen sprangen und Schwalben zwischen Gräsern ihrem Liebesspiel frönten. Eine rötliche Treppe führte in das zweite Stockwerk, das mit einer umlaufenden Balustrade zum Festsaal hin abschloß. Ihr kunstvolles Schnitzwerk ließ die bunten Kleider der Musikantinnen durchschimmern. Lyra, Harfe, Doppelflöte und Zimbeln erklangen.
    An der südlichen Wand des unteren Freskensaales warteten üppig beladene Tische auf die Hungrigen. Der Duft von gebratenem Ziegenfleisch vermischte sich mit dem Aroma der mondrunden Kuchen, die auf frischen Blättern auskühlten. Weidenkörbe mit heißem Fladenbrot und Früchten standen bereit, ebenso Weinkaraffen und große Wasserkrüge.
    Eine Schar Jugendlicher trat in anmutigen Tanzschritten den Fremden entgegen. Die Athener, die sich mit ihren schlechtgefärbten Wollgewändern mehr schlecht als recht herausgeputzt hatten, starrten halb neidisch, halb wider Willen fasziniert, auf die nackten, goldschimmernden Oberkörper der jungen Männer im dreieckigen Leinenschurz. Die Mädchen steckten in bunten Rökken und quastenbesetzten Miedern, die Taille und Brüste betonten. Ein paar hatten hochgetürmte Lockentuffs, in die Blüten gesteckt waren. Die jungen Kreter taten, als bemerkten sie die hingerissenen Blicke der anderen nicht, begrüßten die Neuankömmlinge und führten sie paarweise oder in kleinen Grüppchen zur Festtafel.
    Der Willkommenstrunk war ein heller Wein, der nach Sonne und warmem Wind schmeckte. Alle sprachen ihm eifrig zu, und er half schließlich, die verkrampfte Atmosphäre zu lockern. Als Dienerinnen Rosenwasser über die Hände der Festgäste gossen und damit den Auftakt zum Tanz gaben, glänzten auch die Augen der jungen Athener erwartungsvoll.
    Vom Obergeschoß aus beobachtete Asterios das Geschehen. Wortfetzen drangen zu ihm herauf, lautes

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