Palast der blauen Delphine
rothaarige Mädchen verstellten. Er ließ sich auf einem Hocker nieder und beobachtete sie.
»Du bist Aigeus’ Sohn?« Überrascht fuhr Theseus herum. Der schmächtige Mann hatte ihn akzentfrei im attischen Dialekt angesprochen. Er nickte.
»Ich kannte deinen Vater gut«, sagte der andere. »Aber das ist lange her.« Er fand nicht viel Vertrautes in dem jungen Gesicht. Die Augen waren kalt, die Lippen schmal und schroff. Aber die kräftige Nase erinnerte ihn an den König, und die hellen, buschigen Brauen.
Daidalos hatte den König mehr als zwanzig Jahre nicht mehr gesehen. Wäre er damals nicht entkommen, hätte man ihn hingerichtet. Das Urteil war vermutlich noch immer gültig. Todesstrafe drohte ihm, sobald er Athenai betrat.
»Hat man dich auch gezwungen, zu bleiben und ihre abartigen Riten zu vollziehen?«
Daidalos blieb zunächst stumm. Was hätte er dem zornigen Königssohn aus seiner Heimatstadt auch antworten sollen, der ihn nach Dingen fragte, die noch vor seiner Geburt geschehen waren? Daß er sich mit Ikaros zu Minos geflüchtet hatte, weil niemand anderer ihm sonst Asyl gewährt hatte? Daß er ihn zunächst gehaßt, ja, gefürchtet und monatelang nur auf den passenden Moment gelauert hatte, um wieder von Kreta fliehen zu können? Aus jener Zeit stammte sein leidenschaftliches Interesse für den Vogelflug. Seitdem war er von dem Gedanken besessen, sich ebenfalls in die Lüfte zu erheben.
Erst im Lauf der Zeit waren sie sich nähergekommen. Minos hatte Gefallen an seinen vielseitigen Talenten und seinem Erfindungsgeist gefunden, und er wiederum hatte gelernt, den entwaffnenden Zynismus und die Weitsicht des anderen zu schätzen. In einer Welt, die von Frauen bestimmt und von Frauen regiert war, erschien er ihm majestätisch und würdevoll, ein echter Mann, der überlegt handelte und zielgerichtet planen konnte.
»Kreta geht unter, wenn wir uns nicht zusammentun. Ich brauche deinen klugen Kopf.« Mit Sätzen wie diesen, zwei Landhäusern und der Einrichtung von Werkstätten, von denen er früher nicht einmal zu träumen gewagt hätte, hatte der König ihn geködert. »So viele Hilfskräfte, wie du brauchst. Jede Investition, die du für nötig befindest.«
Der wahre Grund für diese Großzügigkeit war ihm erst allmählich aufgegangen. Da hatten Spione Minos bereits darüber unterrichtet, warum Daidalos Athenai so schnell hatte verlassen müssen. Er schien sogar über Details informiert zu sein. »Schade, daß dein Neffe Kalos nicht mehr am Leben ist«, hatte er eines Tages beiläufig geäußert, als sie eine ihrer Meinungsverschiedenheit hatten, bei denen Minos wie üblich für Schnelligkeit und Daidalos für Qualität plädierte. »Man sagt, er sei sogar noch begabter gewesen als du. Vielleicht hätte sein Einsatz deine Ergebnisse optimieren können.«
Daidalos war inzwischen die Versuche mit dem widerspenstigen Eisenerz gründlich leid. Heimlich hatte er wieder damit begonnen, Vögel zu sezieren, um ihr Gewicht und ihre Proportionen mit der menschlichen Anatomie zu vergleichen. Was er herausfand, erschien ihm so ungünstig, daß er die Idee eines Flugapparates mit künstlichen Schwingen verwarf. Er würde nach neuen Lösungen suchen müssen. Dafür aber brauchte er Zeit.
Die halb versteckte Drohung, die er aus Minos’ Worten zu hören glaubte, vergällte ihm die Lust an weiteren Versuchen, die er bislang selbst vor Ikaros erfolgreich verborgen hatte. Plötzlich schien ihn seine Vergangenheit wieder einzuholen. Es half nichts, daß er jene schreckliche Nacht, in der Kalos nach ihrem Streit vom Felsen gestürzt war, so gründlich verdrängt hatte, daß ihm mittlerweile der tragische Vorfall so unwirklich vorkam, als sei er gar nicht geschehen. Auf einmal schien er sich wieder zwischen ihn und sein Glück zu drängen. Aber er war kein junger Mann mehr und hatte seinen Reichtum und seine Stellung auf Kreta zu schätzen gelernt. Was nützten ihm die trügerischen Lockungen einer Heimat, die sein Talent mißachtet und ihn auf einen bloßen Verdacht hin schnöde vertrieben hatte?
Nach diesem Tag kehrte er reumütig an seine Öfen zurück, damals noch eine Reihe lehmverkleideter Schüsseln, die er in einen Steinfußboden eingelassen hatte. Aber er haßte die Arbeit. Was war bei den jahrelangen Anstrengungen schon herausgekommen? Ein schwärzliches, schlackiges Eisen, das porös war und bei der weiteren Verarbeitung schnell brach und splitterte. Erst in den letzten Wochen schien der Durchbruch näher
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