Palast der blauen Delphine
gerückt.
Daidalos verkniff sich ein Lächeln. Diesmal war das Glück auf seiner Seite. Nicht mehr lange, und er würde Minos sein Ergebnis präsentieren können. Plötzlich merkte er, daß er lange in seinen Gedanken versunken gewesen war. Theseus schien noch immer auf seine Antwort zu warten.
»Gezwungen? Nicht direkt«, sagte Daidalos schließlich. »Ich würde eher sagen, das Schicksal hat es so gewollt. Nicht immer können wir den Weg wählen. Manchmal wählt der Weg auch uns.«
Theseus sah ihn überrascht an. Der Mann mit den Obsidianaugen, die ihn an ein Reptil erinnerten, verwirrte ihn. Immerhin aber war er ein Athener, der überraschenderweise eine ziemlich hohe Stellung hier am Hof innezuhaben schien. Vielleicht konnte er ihm, Theseus, von Nutzen sein. »Wie ist dein Name?« fragte er deshalb.
»Daidalos«, erwiderte der Mann in seltsamem Ton. »Früher hat man mich für den bedeutendsten Baumeister Athenais gehalten. Heute würde ich mich eher als rechtschaffenen Schmied bezeichnen.« Er lachte bitter.
Aiakos unterbrach ihr Gespräch. Mit lautem Klatschen verschaffte er sich Gehör und erklärte das Begrüßungsfest für beendet. Schon in den Morgenstunden würde das körperliche Übungsprogramm der Mysten beginnen. Einige Stunden Schlaf waren vorher unbedingt nötig.
Allmählich leerte sich der Festsaal. Zu den letzten Gästen gehörten Ariadne und Phaidra, die sich gemeinsam auf den Weg in ihre Gemächer machten. Sie sprachen wenig miteinander; Phaidra, weil sie viele Worte haßte, Ariadne, weil sie sich in der Gegenwart der Jüngeren unsicher fühlte.
»Hast du gesehen, wie er dich angesehen hat?« fragte sie schließlich, als sie vor Phaidras Gemach angelangt waren. Ariadne hatte sich nach ihrer Rückkehr von Strongyle ausbedungen, im Südflügel neue Räume aussuchen zu dürfen, und Pasiphaë hatte schließlich eingewilligt. Sie wollte sich verständnisvoll zeigen, um nicht gleich wieder die alte Zwietracht zwischen Mutter und Tochter von neuem zu schüren.
»Ich weiß nicht, was du meinst.« Die leichte Röte auf ihrer hellen Haut ließ Phaidra besonders reizvoll aussehen.
Mit jäh aufflammender Abneigung starrte Ariadne sie an. Schon als kleines Kind war sie von allen verhätschelt worden. Später hatten Pasiphaë und Minos ihre spirituellen Neigungen gefördert und ihr in seltener Einmütigkeit Zugang zu all dem Wissen gewährt, das sie für ihr Amt als künftige Priesterin brauchte. Verlief alles plangemäß, würde sie einmal den Thron besteigen. Für Phaidra schien es keine Umwege, keinerlei Verwirrungen zu geben. Ihr Weg war so klar und offen wie ihre braunen Augen.
»Komm schon, mir machst du nichts vor«, sagte sie. »Schließlich habe ich Augen im Kopf! Und warum auch nicht? Ein attischer Prinz wäre schließlich keine schlechte Wahl für die Nachfolgerin Pasiphaës. Du brauchst dich nicht einmal besonders anzustrengen. Er wird dir wie eine reife Frucht in den Schoß fallen.«
Hätte Pasiphaë dich niemals geboren, gebührte mir dein Platz, dachte Ariadne. Viele Male habe ich mir schon gewünscht, du hättest nie das Licht dieser Welt erblickt. Deine bloße Existenz hat mich auf den hinteren Rang verwiesen und zur zweiten Wahl gestempelt. Vielleicht wüßte ich eher, was ich wollte, wäre ich an deiner Stelle.
Phaidra sah sie ruhig an und schien den Aufruhr in ihr zu spüren. »Ich werde ihn dir nicht wegnehmen«, sagte sie einfach. »Du brauchst keine Angst zu haben.«
Ariadne stand noch eine Weile vor der geschlossenen Türe und biß in ohnmächtigem Zorn auf ihren Handballen. Sie kam sich entblößt und gedemütigt vor. Die Gedanken an das erschrockene Gesicht des Geliebten drängte sie beiseite. Schließlich hatte Asterios nur bekommen, was er verdient hatte. Eines auf jeden Fall schwor sie sich bei ihrem einsamen Heimweg: Nie mehr würde sie irgend jemandem ihre Gefühle verraten.
Als Asterios das Hafenviertel erreichte, war es beinahe Mitternacht. Amnyssos schien schon zu schlafen; nur noch in wenigen Fenstern entdeckte er Licht. Er war geritten, ohne nachzudenken, auf einer wilden, atemlosen Flucht vor sich selbst.
Er stieg ab, band sein Pferd fest und ging zu dem Haus mit der blauen Tür. Er klopfte. Von drinnen waren Lachen und Musik zu hören. Er klopfte lauter.
Die Wirtin öffnete ihm selbst, eine mollige Frau mittleren Alters, die mit Scharlach auf den Wangen und dunkel umrahmten Augen vergeblich auf jugendlich geschminkt war. Sie trug ein
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