Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
herüberäugten. Er spürte, wie Zorn in ihm aufstieg, der aber schnell wieder verflog. Mein Gegner ist Theseus, dachte er. Und niemand sonst. Mit ihm habe ich es zu tun. Ich darf mich den anderen gegenüber nicht verhärten. Sie sind nur Halbwüchsige, die man in eine unbekannte Umgebung gesteckt hat. Kein Wunder, daß ihnen vieles hier seltsam vorkommen muß!
    Wieder ganz beherrscht, wandte er sich um und streckte die Hand aus. Xenodike, die in einem gelben Kleid mit Margeriten im Haar die Sonne verkörperte, reichte ihm die Fackel. Er berührte das Reisigherz des Holzstoßes, und die Flammen schlugen empor. Nicht nur ihr Feuer brannte. In der Schlucht, auf dem Zwillingshügel gegenüber und überall entlang der Küste wurde es hell. Gebannt standen die jungen Menschen im Kreis um das Feuer und bildeten einen lebendigen Kreis innerhalb des steinernen.
    Asterios, den silbernen Schlangenreif am Arm, begann laut zu beten.
    »Heute ist der längste Tag des Jahres. Heute läßt Du, Große Mutter, das Licht über die Macht der Finsternis triumphieren. Doch der Fülle muß unweigerlich die Leere folgen. So schreibt es das ewige Rad der Wandlung vor, das Dein mächtiger Arm bewegt. Nach der Ernte kommt die Kargheit des Winters. Herrin des Lichtes, begleite uns auf diesem Weg in die Dunkelheit!«
    Er nahm ein Brot, brach es und übergab es der Glut. »Seht, die Göttin ist im Getreide!«
    »Es wird uns wachsen lassen«, antwortete ihm der Chor.
    Er trank einen Schluck von dem Wein und goß ein wenig ins Feuer. »Seht, die Göttin ist im Wein und in den Früchten!«
    »Sie werden reifen und uns nähren«, erwiderten sie.
    »Die Sonne stirbt nicht auf ihrem Weg in die Finsternis. Sie verläßt uns nur für eine Zeit. Dann wird sie erneut aufgehen, und das Licht kehrt zu uns zurück.«
    Glaukos trug ihm das Kristallrhython voran. Asterios schritt im Kreis von einem zum anderen, entnahm dem Gefäß jeweils eine Prise Salz und streute sie auf ihre Scheitel. »Das Salz des Lebens möge dich reinigen und heilen«, betete er dabei. Er war beinahe wieder am Anfang angelangt, da stockte er plötzlich. Noch bevor die Frau den grünen Schleier zurückgeschlagen hatte, wußte er, wer vor ihm stand.
    Ariadne ließ ihre Verhüllung fallen und schaute ihn herausfordernd an. Seine Hand, die die Segnung vollzog, zitterte unmerklich, seine Stimme aber blieb fest. Er sah sie einen Augenblick länger als nötig an, dann ging er weiter zum nächsten und vollendete seine Runde. »Brot und Wein stehen dort drüben als Stärkung für euch bereit«, sagte er, als er wieder am Altar angekommen war.
    Der Kreis löste sich auf. Ariadne ließ Asterios keinen Moment aus den Augen, aber er machte keinen Versuch, sich ihr zu nähern. Ärgerlich biß sich Ariadne auf die Lippen und begab sich zu ihren Geschwistern. Dann sah sie Theseus endlich allein dastehen. Das war der Moment, auf den sie gewartet hatte.
    Zielstrebig überquerte sie den Platz, vorbei am Feuer, wo die Äste krachten und knisterten, und legte ihre Hand auf seinen Arm.
    »So nachdenklich bei einem so heiterem Fest wie diesem?« fragte sie sanft.
    »Du bist es«, erwiderte er überrascht. »Wo kommst du denn auf einmal her?«
    Ariadne machte eine unbestimmte Handbewegung. »Ich bin schon länger unterwegs«, lächelte sie vielsagend. »Ich kenne unterhaltsamere Beschäftigungen für heiße Nächte, als ins Feuer zu starren und trockenes Brot zu kauen«, fuhr sie fort. Eine Locke hatte sich aus ihrem aufgesteckten Haar gelöst. »Ich könnte dir etwas zeigen, was dir gefallen wird. Es sei denn, du hast Angst davor, allein mit mir zu sein.«
    »Ich habe vor niemandem Angst«, antwortete Theseus unwirsch.
    Wie auf ein Stichwort hoben beide die Köpfe und schauten hinüber zu Asterios, der mitten unter den Mysten stand. Dann war der kurze Augenblick vorüber.
    »Ich fürchte nicht einmal den Tod«, sagte Ariadne. Ihr Lachen war dünn und künstlich. »Gehen wir?«
    »Jetzt gleich?«
    Sie lachte abermals. »Das klang ja fast entsetzt. Meinst du denn, ich will dich im Dunkeln vom Felsen stürzen?«
    Urplötzlich überkam ihn der Wunsch, die Nadeln aus ihrem Lockentuff zu ziehen und mit beiden Händen in ihr Haar zu fassen. Es war dicht und braun und sah seidig aus. Feiner Rosenduft stieg ihm in die Nase, der aus der Mulde zwischen ihren Brüsten zu strömen schien. Warm und lebendig roch sie, wie der Sommer selbst.
    »Du hast recht«, wisperte Ariadne und schlug sittsam ihre Augen nieder. »Es

Weitere Kostenlose Bücher