Palast der blauen Delphine
eine Heilkundige aus der Stadt gegen seine Krämpfe gemischt hatte, und setzte sich an seinen Tisch. Der Feuerstein lag schon bereit, und die Öllampen waren rasch entfacht.
Er hatte seine alten Zeichnungen wieder herausgekramt und die mit schneller Feder hingekritzelten Zahlenreihen, die er nach dem Zusammenstoß mit Minos damals in seinen Truhen vergraben hatte: Flugskizzen, hingetupfte Insektenkörper, Längs- und Querschnitte verschiedenartiger Flügel. Daß ein Mensch aus eigener Kraft mit nachempfundenen Schwingen nicht fliegen konnte, war ihm schon seit langem klar. Zusätzliche Unterstützung war nötig; nach seinen Beobachtungen und Berechnungen ging es vor allem um den Auftrieb, den Luftströmungen allein nicht zustande brachten. Was also war zu unternehmen, um den Unterschied zwischen der schweren menschlichen Anatomie und der leichten der Vögel auszugleichen?
Er war froh, daß alle schliefen und er den südlichen Trakt des Palastes für sich allein hatte. Wenn er nicht zu Patane eilte, um von ihr verabreicht zu bekommen, was er verdiente, blieb er in seinen Gemächern. Niemand beobachtete ihn, wenn er armeschwingend im Zimmer auf- und absprang. Wenn er auf einen Hocker stieg oder den Schemel auf den Tisch stellte, um rudernd auf dem Boden zu landen. Mißmutig starrte er auf seine Beine, die ihm trotz ihrer Magerkeit schwerfällig vorkamen, und wünschte sich zum abertausendsten Mal, sich wie ein Vogel in die Lüfte erheben und einfach allen Problemen davonfliegen zu können.
Ein Ungeschick brachte ihn der Lösung näher. Die Nacht war die schlimmste seit langem. Gebückt vor Schmerzen tastete er nach einer glimmenden Lampe, die für alle Fälle neben seinem Bett bereitstand. Dabei streifte er ein Ölkännchen. Es fiel um, und die trübe Flüssigkeit ergoß sich über einen Packen Zeichnungen. Fluchend riß er die Blätter vom Tisch. Sie waren vollkommen durchtränkt.
Das Stechen in seinen Eingeweiden ließ ihn die Papiere über viele Stunden ganz vergessen. Er war in die Stadt hinunter geflohen, in das braune Haus, in dem Patane ihn mit ihrem gewohnten Schnauben empfangen hatte. Rasch hatte er sich entkleidet und zitternd gewartet, bis sie die lange Peitsche in der Hand hielt.
»Hinknien!« hatte sie rauh befohlen und die goldene Nadel, Entlohnung für ihre nächtlichen Dienste, zwischen ihren Brüsten verschwinden lassen. Es erregte ihn, ihren Weg in Gedanken zu verfolgen, und er stellte sich vor, von ihnen wie von zwei riesigen Hügeln erdrückt zu werden. Er stöhnte, als die ersten Schläge sein mageres Gesäß trafen.
»Mehr! Mehr!«
Heute war die Nacht, in der er härter und bitterer büßen mußte als sonst. Während sie seinen Rücken peitschte, daß ihm das Wasser in die Augen schoß, kamen ihm die Bilder von Kalos und Naukrate wieder in den Sinn. Jede Strieme ließ ihn erneut den Schmerz fühlen, den er verspürt hatte, als er sie eines Morgens nackt und engumschlungen in seinem Bett gefunden hatte – seine Frau und seinen Neffen!
»Fester! Noch fester!«
Die Nubierin ließ die Peitsche auf seine Schenkel prasseln. Er wand sich genußvoll unter ihren kraftvollen, gleichmäßigen Schlägen und spürte, wie seine Geilheit wuchs. Von jenem Tag an war der Tod der beiden Verräter für ihn beschlossen gewesen. Kalos hatte er an einem regnerischen Abend von einer Klippe gestürzt. Naukrate war nicht lange danach gestorben, vor Kummer, nicht am Wundfieber, wie Daidalos überzeugt war.
Seitdem brauchte er seine Strafe. Seitdem verlangte es ihn nach der einzigen Lust, die ihn noch befriedigen konnte. Seine schwarze Göttin schenkte sie ihm. Dafür würde er ihr alles zu Füßen legen.
Er blieb bei Patane, bis er wieder ruhiger geworden war. Sie hatte seine Wunden gesalbt und ihn wie ein Kind auf ihren mächtigen Knien gehalten. Dann mußte er gehen. Die Nacht bei ihr zu verbringen, hätte gegen die Regeln verstoßen. Aber er würde bald wiederkommen. Sehr bald.
Als er schließlich nach Hause zurückgekehrt war, bemerkte er, daß das Öl die Blätter neben seinem Bett verändert hatte. Er versuchte, sie zu knicken oder zu falten. Der Effekt war erstaunlich: Sie waren fester und biegsamer zugleich. Daidalos starrte auf den ölgetränkten Papyrus in seinen Händen und lächelte.
In dieser Nacht war an Schlaf nicht mehr zu denken. Mit schmerzendem Hintern saß er am Tisch unter dem Fenster und zeichnete, bis es hell genug wurde, um die Kerzen zu löschen. Dann wusch er sich Gesicht und Hände
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