Palast der blauen Delphine
Schweiß in Strömen herunter, und auch die Zuschauer hatten Mäntel und Hemden längst ausgezogen. Hämmern und Schlagen erfüllte den Raum.
Daidalos schien überall gleichzeitig zu sein, lief von einem zum anderen Amboß und trieb seine Leute an. Im nächsten Augenblick war er wieder an der hinteren Tür, um den Nachschub zu kontrollieren, und brüllte den Erzschmelzern draußen an den Öfen weitere Anordnungen zu. Nichts konnte ihm rasch genug gehen. »Schneller!« keuchte er. »Beeilt euch! Nicht so langsam! Alles muß noch fertig werden. Was bildet ihr euch ein? Minos wird wegen euch nicht warten wollen!«
»Klappt es?« zischte Theseus ihm zwischendrin zu, als er an ihm vorbeistürmte. »Hast du es geschafft?«
Daidalos zuckte die Achseln. »Mal sehen«, murmelte er. »Noch ist nichts entschieden.«
»Welches Werkzeug hat Minos eigentlich verlangt?« wollte Theseus wissen, als er ihn später noch einmal zu fassen bekam.
»Pfeilspitzen. Zeus allein weiß, warum.« Daidalos stand schon wieder neben dem Amboß. »Bist du soweit?«
»Ich glaube, ja«, knurrte der Schmied.
»Gut.« Er wandte sich nach hinten. »Wo sind die Urinkannen?«
Zwei Gehilfen brachten sie. Ein anderer hielt mit einer langen Zange die Spitze über den Ausguß im Boden.
»Jetzt!« befahl Daidalos. Gelbe Flüssigkeit rann über das glühende Metall. Es rauchte und zischte, und in der Schmiede begann es zu stinken. Einige der Mysten hielten angewidert die Hand vor den Mund, Daidalos aber schien nichts zu bemerken.
Theseus riß erstaunt die Augen auf. Das ist es also, dachte er. Die kleine Chance, von der er gesprochen hat. Urin, um das Metall abzukühlen, an Stelle von Wasser oder Tierblut wie bisher!
»Weiter!« rief Daidalos ungeduldig. »Jetzt die nächste! Paßt doch auf!« Beinahe wäre ihm die Zange entglitten. »Nacheinander, nicht alle auf einmal!«
Schließlich begutachtete er die fertige Eisenspitze. Traf er mit seinen Vermutungen ins Schwarze, bedeutete das mit einem Schlag die Lösung seiner Probleme. Dann war ihm Zakros sicher – und Patane. Seine Züge entspannten sich; er sah aus, als habe er neue Hoffnung geschöpft.
Am späten Nachmittag machten sich die Bogenschützen bereit. Überraschenderweise fand das Zielschießen nicht wie üblich im Theaterhof statt, sondern vor dem Südtrakt des Palastes, unweit der Werkstätten. Im Freien hatte Minos mehrere Reihen Klappschemel aufstellen lassen. Die Mysten saßen ganz hinten.
Theseus hielt sich abseits. Ariadne hatte ihm im Vorbeigehen verstohlen zugewunken; außer Asterios wußte sonst keiner von ihrer Liaison. Ihm lag sehr daran, daß es auch in Zukunft so bleiben würde. Es war nicht nur der Wunsch, die Liebschaft mit der kretischen Prinzessin vor den Kameraden zu verbergen, um nicht das Gesicht zu verlieren. Denn obwohl er es am liebsten so gesehen hätte, war sie keine seiner schnellen Eroberungen, mit der er sich brüsten konnte. Genaugenommen, hatte nicht er sie, sondern Ariadne ihn erwählt, und er war ihr wie eine reife Frucht in den Schoß gefallen. Theseus mochte diesen Gedanken nicht. Von Anfang an hatte es etwas in ihrem Verhältnis zueinander gegeben, mit dem er nicht zurechtkam. War es ihre Eitelkeit, die ihm kalt und selbstherrlich erschien? Ihre schamlose Direktheit, die sogar ihn befangen machte?
So sehr er sich bemühte, es gelang ihm nicht, dahinter zu kommen. Immer wieder mußte er sich gegen das unbestimmte Gefühl erwehren, eigentlich halte Ariadne die Zügel in der Hand. Ihre heimlichen Zusammenkünfte ließen ihn ausgelaugt zurück. Wenn er auch ihren Körper begehrte, die Frau mit dem kehligen Lachen war ihm dennoch fremd. Er blieb auf der Hut vor ihr und gab auf die meisten ihrer Fragen ausweichende Antworten. Manchmal schien sie seine Zurückhaltung gar nicht zu bemerken; dann wieder bestürmte sie ihn und war mit keiner seiner Auskünfte zufrieden. Ariadne war unberechenbar; niemals wußte er, was sie als nächstes tun würde. Er suchte ihre Nähe, und gleichzeitig stieß ihre Heftigkeit ihn ab. Bisweilen, dachte er, während er in sie drang, nicht an sie, sondern an ihre Schwester, die blasse, jungfräuliche Priesterin. Unterschiedlicher als diese beiden konnten Schwestern kaum sein.
Er sah Ariadne in der ersten Reihe in einem kostbaren gelben Kleid sitzen, sorgfältig frisiert und geschminkt, aber so abwesend, wie sie manchmal in seinen Armen lag. Ganz vorne hatte auch Pasiphaë Platz genommen; links von ihr war Mirtho, schwarzgekleidet
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