Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
betrachtete er ihn als Feind.
    »Minos ist alles andere als ein Narr«, antwortete Daidalos scharf. »Aber er kann es nicht leiden, wenn die Dinge anders laufen, als er es sich vorgestellt hat. Besonders, wenn es um Eisen geht.« Er machte eine kurze Pause. »Ich habe nichts unversucht gelassen, leider ohne Erfolg.« Seine Stimme klang matt, und seine Lider waren geschwollen. Die letzte Nacht bei Patane war anstrengend und schmerzhaft gewesen. Schlimmer aber war, daß er die Besuche bei ihr aussetzen mußte, bis Minos und sein Hofstaat wieder verschwunden waren. Er fieberte schon jetzt dem Wiedersehen entgegen. Dann würden ihre starken Arme ihn eine ganze Nacht für seine Vergehen büßen lassen. »Eine winzige Chance gibt es noch«, sagte er plötzlich. »Ich bin erst vorgestern darauf gestoßen.«
    »Was meinst du damit?« fragte Theseus neugierig.
    »Ich will erst darüber reden, wenn ich ganz sicher bin«, wich Daidalos aus. »Erzschmelzen ist ein Schöpfungsakt, und jeder Schmied sollte seinen Amboß eifersüchtiger bewachen als seine Braut.« Er lächelte schwach. »Das Erz, das Eisen enthält, ist mit heiliger Kraft geladen und versteckt sein Geheimnis wie eine scheue Jungfrau ihren Schatz. Du kannst dich glücklich schätzen, Augenzeuge seiner Verwandlung zu sein«, schloß er pathetisch. »Übermorgen. Wenn Minos kommt.«
     
    Im Osten wurde es langsam hell; die Stadt am Meer erwachte. Sie konnten die Fackeln löschen, die während der Nacht an den Gruben gebrannt hatten. Seit Mitternacht waren die Mysten um die Schmelzöfen versammelt. Der frühe Morgen war herbstlich klar und so kühl, daß sie sich enger um die Gruben drängten. Ein paar von ihnen hatten sich im Dunkeln die Finger an den Tonröhren verbrannt, die hinunter bis zum Grund führten. Alle waren müde und hungrig, und die meisten hatten längst die Lust verloren, nach unten zu starren.
    »Das kann noch Stunden dauern«, maulten ein paar Mädchen. Sie hüpften umher, um warm zu werden. »Und was gibt es dann schon zu sehen?« Eriboia schwang sich mutig zu ihrer Sprecherin auf. »Schmutzige Schmiede, die auf Metall herumhämmern!«
    »Ihr wißt nicht, was ihr sagt!« wies Daidalos sie zurecht. In seinem grauen Umhang sah er übernächtigt und noch schmächtiger als sonst aus. »Schmiede beherrschen die Kunst, die Reifung der Steine und Erze im Mutterschoß der Erde nachzuvollziehen. Ihre Arbeit ist ein heiliger Akt.« Mit blanken Augen funkelte er sie an. »Göttlicher Segen liegt auf ihnen und ihren Instrumenten, auf Hammer, Blasebalg und Amboß. Hat man euch das in eurem Unterricht nicht beigebracht?«
    Die Mädchen verstummten und wichen vor ihm zurück. In Gegenwart des Mannes mit den scharfen Zügen und dem strengen Atem fühlten sie sich immer unwohl. »Bei uns in Athenai wird auch geschmiedet. Aber lange nicht so viel Aufhebens davon gemacht«, sagte Eriboia leise, allerdings erst, als Daidalos sich etwas entfernt hatte.
    »Stammt dieser Daidalos nicht ursprünglich auch aus Athenai?« fragte Asteria, die sonst meistens stumm blieb.
    »Die Jahre hier auf der Insel scheinen ihn zum Kreter gemacht zu haben«, spottete Antiochos, der ebenfalls zu den Rebellen gehörte. »Fehlt nur noch, daß er sich vor Begeisterung mit seinen Zangen in den Ofen stürzt!«
    Er warf einen beifallheischenden Blick zu Theseus, der erstaunlicherweise keinen Kommentar abgab. Statt dessen starrte er auf die Tonröhren, als erwarte er jeden Augenblick die Flüssigkeit.
    »Es kommt! Vorsicht an den Rinnen! Es geht los!« Der Ruf des Erzmeisters ließ alle zusammenfahren. Er hatte den Pfropfen aus dem Windkanal gezogen, und die Mulden füllten sich langsam mit träger Masse. Teigige Klumpen sanken auf den Grund, während die dünnflüssigere Schlacke über Vertiefungen am Rand abfloß und zum Teil im Boden versickerte.
    Alle arbeiteten mit fieberhafter Eile, während Daidalos von einem zum anderen sprang und knappe Befehle bellte. Die Männer schöpften die glühende Luppe in kleine Schmelztiegel ab. Eine Kette von Trägern hatte sich gebildet, die diese mit Hilfe von Zangen so schnell wie möglich nach innen in die Schmiede weiterreichten. Dort wurden die Eisenkuchen mit kaltem Wasser abgeschreckt, um sie von restlichen Verunreinigungen zu befreien.
    Die Eisenstücke, schwammig und porös, wurden abermals erhitzt und auf den Ambossen in der Hitze geschmiedet. Trotz der frühen Stunde war es in der Schmiede unerträglich stickig. Den Männern an den Feuern rann der

Weitere Kostenlose Bücher