Palast der blauen Delphine
und ging hinüber zu den Männern, die an den Gruben gewacht hatten.
Seit jener Nacht wuchs eine kleine Hoffnung in ihm, die er sorgsam vor allen verbarg. Bis zur Ankunft des Königs und seiner Begleiter waren es nur noch wenige Tage, und trotz seiner Bemühungen war kein befriedigendes Resultat in Sicht. Zudem hatte sich seine Ruhelosigkeit bereits auf die ganze Umgebung übertragen. Die Männer an der Esse fluchten, wenn etwas mißlang, und zwei Grubenwächter hatten sich wegen einer Nichtigkeit geprügelt. Die Stimmung in der Schmiede war gereizt; schon der kleinste Anlaß konnte zur Entladung führen.
Selbst Theseus schien zu spüren, daß etwas in der Luft lag, und verhielt sich ungewohnt feinfühlig. Seine Besuche bei Daidalos in der Schmiede waren zu einer festen Gewohnheit geworden. Die Männer sahen nicht mehr von ihrer Arbeit auf, wenn er die Werkstätten betrat, und schienen ihn mittlerweile fast als einen der ihren angenommen zu haben. Theseus, der im Unterricht nur störte oder schlief, dem jeder Weg zu weit und jeder Axtschlag zu anstrengend war, entwickelte am Amboß Ausdauer und Geschicklichkeit. Den Fortgang der Schmelzversuche verfolgte er mit großer Anteilnahme, und Daidalos war aufgefallen, daß er sich selbst über kleine Erfolge freute. Auf ganz Kreta schien ausgerechnet diese schmutzige Schmiede der Ort zu sein, an dem sich Aigeus’ Thronfolger am liebsten aufhielt.
Daidalos war davon gleichermaßen überrascht wie geschmeichelt. Er schätzte die ruppige Art des Jungen und bildete sich sogar ein, ihn inzwischen zu kennen. Er mochte an ihm, daß er zupackte, und er benutzte Theseus’ Aufbegehren als Ventil für seine eigene Unzufriedenheit. Eine merkwürdige sprachlose Allianz hatte sich zwischen ihnen entwickelt, die Daidalos weniger einsam sein ließ. Manchmal wünschte er sich sogar, Theseus und nicht Ikaros sei sein Sohn. Hätten sie nicht vereinbart gehabt, keinem etwas über ihren Kontakt zu verraten, hätte er Theseus gern als Vertrauensbeweis zu einem der Wächter gemacht, die die nächtlichen Schmelzfeuer hüteten.
Er ahnte nicht, daß Theseus in Wahrheit die Schmiede gründlich satt hatte und es ihm nur darum ging, wenigstens einen Verbündeten auf dieser Insel seiner Feinde zu gewinnen. Schon nach den ersten Gesprächen hatte er Daidalos’ Verbitterung herausgehört, und es war ihm nach und nach gelungen, immer mehr Bruchstücke aus seinem Leben in Athenai zu erfahren. Über eines schwieg Daidalos sich allerdings hartnäckig aus, und selbst die geschickteste Fragestellung brachte Theseus keinen Schritt weiter. Zu gern hätte er gewußt, warum der Erfinder Athenai vor mehr als zwanzig Jahren fluchtartig verlassen hatte. Er war sicher, daß sein Vater den Namen Daidalos niemals in seiner Gegenwart erwähnt hatte. Allerdings war dazu in der kurzen Zeit, die er an seinem Hof gelebt hatte, auch kaum Gelegenheit dazu gewesen. Deshalb versuchte er bei den anderen Mysten etwas herauszubekommen, was nicht einfach war, da er seine enge Bekanntschaft mit Daidalos nicht preisgeben wollte.
Einzig Eriboia fiel etwas ein. »Ich bin sicher, daß mein Vater einmal von einem Mann gleichen Namens gesprochen hat.« Sie dachte angestrengt nach. »Kann es sein, daß es etwas mit Verrat zu tun hatte? Ich weiß es beim besten Willen nicht mehr.«
Das war eine Spur. Mehr nicht. Trotzdem gab Theseus nicht auf. Er war fest entschlossen, das Geheimnis zu lüften. Dann hätte er den anderen womöglich ganz in seiner Hand.
In der Zwischenzeit bemühte er sich, die Beziehung weiter zu festigen. Die Zeit vor Minos’ Besuch eignete sich dafür besonders; Daidalos arbeitete nahezu Tag und Nacht. Seine frühere Reserviertheit hatte er mittlerweile ganz aufgegeben. Jetzt schien er geradezu erfreut, Theseus zu sehen. »Komm so oft, wie du dich frei machen kannst«, ermutigte er ihn. »Noch gibt es hier eine ganze Menge zu lernen. Wer weiß, was geschehen wird, wenn Minos eintrifft!«
»Wenn er kein Narr ist, läßt er dich weiterforschen«, antwortete Theseus und mußte an das Raubtierprofil des Königs denken. Zwei Kreter gab es, in deren Gegenwart er sich besonders unwohl fühlte. Minos war der eine. Der andere war jener seltsame Priester mit den goldgefleckten Augen, der Asterios genannt wurde. Dieser war ihm von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Daß er ihn vor allen angefahren und zudem in seine nächtliche Umarmung mit Ariadne geplatzt war, hatte ihn in seiner Abneigung noch bestärkt. Seitdem
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